■ Zwei Jahre lang tüftelte eine Expertenkommission für Bauministerin Schwaetzer an Wohnungsbau-Vorschlägen. Gestern, knapp nach der Wahl, wurden sie präsentiert. Wir malen aus, wie es Mietern erginge...
: Messerscharfes liberales Profil

Zwei Jahre lang tüftelte eine Expertenkommission für Bauministerin Schwaetzer an Wohnungsbau-Vorschlägen. Gestern, knapp nach der Wahl, wurden sie präsentiert. Wir malen aus, wie es Mietern erginge, wenn die Vorschläge umgesetzt würden.

Messerscharfes liberales Profil

Horrorszenario, Schwachsinn, neoliberaler Unsinn, sagen die einen – wunderbar, dringend notwendig, endlich Schluß mit dem Regelungsgestrüpp, die anderen. Die gestern in Bonn der Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) überreichten Vorschläge der Expertenkommission „Wohnungspolitik“ erregen die Gemüter, obwohl fast noch niemand das tausend Seiten starke Gutachten genau durchstudiert hat. Aber die sechzigseitige Kurzfassung, die der Vorsitzende der Kommission, Hans-Werner Sinn, einem ausgewählten Kreis bereits zukommen ließ, enthält schon Zündstoff genug, um die politische Landschaft gründlich zu polarisieren.

„Ich bin über die Ratschläge erschüttert“, sagte das Präsidiumsmitglied des Deutschen Mieterbundes, Hartmann Vetter, und wenn sie umgesetzt werden sollten, befürchtet dessen Direktor Helmut Schlich, könnten Millionen von Haushalten die Miete in Zukunft nicht mehr bezahlen. Das sind Sorgen, die Herr Sinn und mit ihm die Vermieter und Wohnungsbauunternehmen allerdings überhaupt nicht verstehen können. Sie erklärten gestern, daß die Ratschläge der 13 Kommissionsmitglieder den Sozialstaat in keinster Weise demontieren würden.

Ihre Kernidee ist, den sozialen Wohnungsbau in der jetzigen Form auslaufen zu lassen und durch mehr Markt zu ersetzen. Der Preis soll zum Steuerungsinstrument werden. Im Klartext: Die Wohnung ist eine Ware, und der Preis einer Ware bestimmt sich durch Angebot und Nachfrage.

Beispiel Mieterhöhung: Bisher galt, daß Mieten mit einem Quadratmeterpreis unter netto acht Mark kalt innerhalb von drei Jahren um nicht mehr als insgesamt 20 Prozent steigen durften. Bei neueren und teureren Wohnungen durften die Mieten sogar um 30 Prozent steigen. Mit dieser Mieterhöhungsobergrenze soll Schluß sein: Gezahlt werden soll, was der Markt hergibt. „Die Mietenexplosion ist vorprogrammiert“, schäumt der Deutsche Mieterbund, die Renditen lohnen das Bauen, freut sich der Verband Deutscher Hypothekenbanken.

Kündigungen: Nach Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen soll es künftig nur noch die kurze dreijährige Kündigungssperrfrist bei Eigenbedarf des Erwerbers geben. Die bisher geltende Frist von fünf bzw. zehn Jahren soll aufgehoben werden. Das sei ein „Freibrief“ für Umwandlungsspekulanten, sagt der Mieterbund. Nein, behauptet der Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs-und Grundeigentümer, dies sei der Einstieg, um die gesamte Wohnungsbauförderung auf Wohneigentum umzustellen.

Sozialklausel: Auch damit soll Schluß sein. Bisher durften Mieter, die mehr als 30 Jahre in einer Wohnung lebten, nicht hinausgeworfen werden. Jetzt soll diesen Menschen gekündigt werden dürfen. Ab ins Altersheim, schimpft der Berliner Mieterverein. Nein, die Langzeitmieter hätten, weil die Kinder ausgezogen sind, oft viel zu große Wohnungen, behaupten hingegen die Maklerverbände.

Wohngeld: Die Expertenkommission will alle sozialen Härten, die durch ihren Plan entstehen, über das Wohngeld abfangen. Statt staatlich subventionierten Wohnungsbaus also ein durch Bund und Länder garantiertes Wohngeld für die, die die Miete nicht mehr zahlen können. „Was für ein Wahnsinn“, meint Armin Hentschel vom Berliner Mieterverein, das sei ja eine „erstklassige Vermietersubvention“. Funktionieren könnte dies auch nur, wenn das Wohngeld ständig an die Mieterhöhungen angepaßt würde. Die Devise der Kommission sei daher, nicht nur den Wohnungseigentümern zu empfehlen, einzutreiben, was der Markt, „sondern auch, was das Wohngeld hergibt“.

Frau Schwaetzer versuchte gestern eilig die Brisanz dieser Vorschläge herunterzuspielen. Natürlich sei an einen Abbau des Sozialstaates nicht gedacht, außerdem müßten alle am Wohnungsmarkt beteiligten Parteien die Vorschläge erstmal gründlich überlegen. Daß weder die Expertenkommission noch die Ministerin gründlich nachgedacht haben, behauptet der Direktor des Mieterbundes Helmut Schlich: „Ich kann mir nur vorstellen, daß das Gutachten pünktlich zu den Koalitionsverhandlungen in Bonn ein letzter verzweifelter Versuch von Ministerin Schwaetzer sein soll, der FDP noch einmal liberale Munition zu liefern. Die CDU kann ich nur auffordern, sich auf dieses liberale Geschwätz nicht einzulassen“, sagte er dem Kölner Express. Anita Kugler