Die heilsame Wirkung von Siegen

■ St. Pauli gegen den 1. FC Gunnlaugsson Nürnberg: Leidenschaft und zwei Punkte Von Claudia Thomsen

Rainer Zobel holte das Optimale aus seiner Zigarette danach. Deutlich konnten selbst NichtraucherInnen die wachsende Distanz spüren, die der Nürnberger Coach mit jedem Zug zur 2:3 Niederlage seines Teams herstellte, das nicht eben wehrlos aufgespielt hatte. Mit einem entspannten „Bittere-Packung-aber-so-kann-es-kommen“ auf dem Gesicht lehnte der 45jährige sich zurück und lauschte den dialektischen Ausführungen des Kollegen Uli Maslo.

Der sprach vom Siegen. Einerseits, so die Essenz seines Statements, sei Siegen nichts besonderes, nur seine Mannschaft müsse sich an diesen Gedanken noch gewöhnen. Auf der anderen Seite betonte der 58jährige die besonders heilsame Wirkung, die Siege nun einmal hätten und gedachte an dieser Stelle dem rekonvaleszierenden Präsidenten Heinz Weisener.

Still war's daraufhin im Presse-Container am Millerntor. Die ultimative Humorlosigkeit des Uli Maslo macht es den meisten trotz der jüngst errungenen Erfolge (12:2 Punkte in der Liga und DFB-Pokal-Viertelfinale) schwer, den Mann ins Herz zu schließen.

Von innerer Gegensätzlichkeit geprägt waren auch die Gefühle der 20 551 Fans im ausverkauften Wilhelm Koch-Stadion. Nach fünfunddreißig bewegenden Fußballminuten – Bier holen war nicht drin, ohne etwas zu verpassen – stand es weitere fast 40 Minuten lang 2:2. „Eigentlich ist das ja viel schöner als ein einfaches 1:0“, lobte ein Fan Erstklassigkeit und Rasanz des Spiels. Sein banger Tonfall verbarg jedoch schlecht, daß man schließlich siegen wollte, und dafür brauchte das Spiel nicht unbedingt so spannend zu bleiben, wie es war.

Spannungssteigernd wirkte bei den stürmischen Paulianern vor allem die mangelhafte Abwehr, die den isländischen Zwillingen im Nürnberger Sturm, Arnar (14. Minute) und Bjarki Gunnlaugsson (28. Minute), nicht eben zwingend nötige Torerfolge bescherte.

Keeper Klaus Thomforde sah sich in der 17. Minute gar genötigt, den auf ihn zuwalzenden Ex-Kollegen André Golke zu fällen. Die Verzweiflungstat, deren Sinn diskussionswürdig blieb (viele wähnten den Ball unerreichbar für Golke), glich der Keeper aus, indem er Strafstoß und Nachschuß hielt. Thomforde lebte seine Erleichterung und Genugtuung in einem der nur ihm eigenen Freudentänze aus, die in der Liga ihresgleichen suchen.

Nach Martin Driller (3. Minute) und Juri Sawitschew (35. Minute) gelang das dritte St. Paulianische Tor dem eben eingewechselten Oliver Schweißing. Oder auch nicht, denn vielleicht war es auch ein Eigentor des Nürnbergers Markus Brand. Das Wesentliche jedoch war auch ohne Super-Slow-Motion zu sehen: Der Ball war drin. Fünfzehn Minuten Angst galt es aus Millerntor-Sicht noch zu überstehen, denn die Heimequipe stand bis zuletzt „hinten drin wie Scheiße“ (O-Ton eines nervösen Fans).

Doch die Nerven hielten an diesem Freitagabend am Millerntor, wo es Fußball zu sehen gab, der in seiner Leidenschaftlichkeit jenen Fans entsprach, die wegen Platzmangels das Spiel auf Bäumen verfolgten.