Die Iren sind doch eigentlich intelligent

■ Nach Verbot in Irland und Rückzug in Großbritannien auch hierzulande Zensurdebatte über Oliver Stones "NBK"

Wenn es heißt, ein Film gehöre nach Meinung mehrerer Bundestagsabgeordneter verboten, weil er „offenbar“ Gewalt verherrliche, dann wissen die Kenner solcher Kampagnen Bescheid: Die bewährten Kräfte der politisch-moralischen Erneuerung sind am Werk. Und ihre Vorstöße sind gewöhnlich um so forscher, als sie durch keinerlei Augenschein des inkriminierten Werks irritiert werden. Am Donnerstag abend lief Oliver Stones „Natural Born Killers“ in Deutschland an, am Freitag morgen sagte Norbert Geis, der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion der BZ, ein Verbot des Films solle wegen Gewaltverherrlichung „ernsthaft geprüft werden“. Von der Bild-Zeitung ließen sich die Abgeordneten Hartmut Koschyk (CSU) und Angelika Barbe (SPD) vor den Karren einer Zensurkampagne spannen: Die Zuschauer „hasten aus den Kinos, stumm vor Grauen, Abscheu, Ekel“, wußte Bild-Kommentator Paul C. Martin.

Die hiesige Front aus Politik und Yellow Press hat indes ein Vorbild. Am letzten Mittwoch hatte sich schon die englische Daily Mail mit einer hysterische Story auf Seite eins in die Bresche geworfen. Resultat: Die für den 18. November geplante britische Premiere von Oliver Stones „Natural Born Killers“ mußte vorerst auf nächstes Jahr verschoben werden. Der Direktor der „Britischen Behörde für Filmklassifizierung“, James Ferman, will den Film den rund 20 Mitgliedern der Behörde zeigen, bevor er ihn freigibt. „Es ist ein wahrhaft ekelhafter Film“, sagte ein Mitglied. „Ich würde gerne Teile davon herausschneiden, aber das wäre sinnlos, weil sich die Gewalt durch das gesamte Werk zieht.“ Ein Sprecher der Verleihfirma Warner Bros. sagte, es sei zu spät, Kinos und Werbung zu buchen, falls der Film doch noch in dieser Woche freigegeben werden sollte. Er verweigerte jeden Kommentar zu den Behauptungen, der Film habe Nachahmungstäter in den USA animiert.

Verschiedene Zeitungen haben berichtet, die US-Polizei bringe den Film mit mindestens sechs Morden in Verbindung – unter anderem der Enthauptung einer 13jährigen durch einen 14jährigen Jungen in Dallas. Französische Polizisten glauben, daß ein Studentenpärchen, das vor kurzem drei Polizisten und einen Taxifahrer erschossen hat, durch „Natural Born Killers“ beeinflußt worden sei. Ferman sagte, es sei noch keine Entscheidung über den Film gefallen: „Wir prüfen die Berichte, daß der Film mit Morden in anderen Ländern in Verbindung steht, doch solche Berichte sind nicht sehr glaubwürdig, wenn man bedenkt, daß die Behauptungen über ,Child's Play 3‘ im vergangenen Jahr sich als unwahr herausstellten.“ Die Mörder des kleinen Jamie Bulger, zwei Zehnjährige aus Liverpool, waren nicht von diesem Horrorvideo inspiriert worden, wie damals berichtet worden war.

Die Vorsicht der britischen Filmbehörde hängt wohl vor allem mit Gesetzesänderungen zusammen, die ihre Arbeit betreffen. Wenn die umstrittene „Criminal Justice Bill“ in dieser Woche in Kraft tritt, muß die Behörde nach genau vorgegebenen Richtlinien entscheiden. Zum ersten Mal kann man dann gegen ihre Entscheidungen vor Gericht ziehen.

Bereits am Mittwoch hat der irische Zensor Sheamus Smith die Aufführung von „Natural Born Killers“ in Irland verboten. Warner Bros. hat sich an den Berufungsausschuß der Zensurbehörde gewandt, der in dieser Woche über den Einspruch entscheiden wird. Oliver Stone sagte, er sei über das Verbot sehr überrascht. „Da der Zensor seine Entscheidung nicht begründen muß, kann ich nur annehmen, daß er sie wegen der Gewalt im Film getroffen hat“, sagte Stone. „Aber der Film soll ja gerade Leute zum Nachdenken über ihr Verhältnis zur Gewalt bewegen. Die Iren, die ich während des Dubliner Film-Festivals 1992 getroffen habe, waren sehr intelligent. Sie hätten keine Schwierigkeiten, meinen Film zu verstehen.“ Ralf Sotscheck/jl