Kulturschock für die britische Autonation

■ Königliche Kommission empfiehlt eine radikale Verkehrswende

Dublin (taz) – Die Tories trauten ihren Augen nicht: Radikale kulturelle Veränderungen und eine schrittweise Abkehr vom derzeitigen Lebensstil seien notwendig, um in 25 Jahren eine Umweltkatastrophe in Großbritannien zu vermeiden. Zu diesem Ergebnis kommt die unabhängige Königliche Kommission zur Umweltverschmutzung, die in der vergangenen Woche 110 Empfehlungen vorgelegt hat.

Der Bericht wurde im Regierungsauftrag erstellt. Vor allem auf den privaten Autoverkehr hat es die Kommission abgesehen. Mehr als 20 Millionen Autos fahren in Großbritannien. Die AutofahrerInnen legen im Jahr die meisten Kilometer in Europa zurück, anderthalb Prozent der Landesfläche sind von Straßen bedeckt. Wenn es nach der Tory-Regierung geht, werden es bald noch mehr sein: Zwei Milliarden Pfund im Jahr will sie für Straßen ausgeben. Doch die Kommission will das Programm halbieren und die AutofahrerInnen so sehr schröpfen, daß sie ihre Blechkisten vor Schreck stehen lassen.

Das Auto steht, wenn die Straßenbahn fährt

Die Vorschläge wurden auch schon in anderen Ländern erhoben, für eine Autonation wie die britische sind sie jedoch schwer verdaulich. Die Benzinpreise sollen binnen zehn Jahren verdoppelt und verbleites Superbenzin sofort verboten werden. Außerdem schlägt die Kommission höhere Autobahn- und Parkgebühren sowie gestaffelte Straßenbenutzungsgebühren vor: Wer in der Nähe ökologisch sensibler Gegenden autofahren will, muß mehr dafür berappen.

Ziel ist es, daß Verkehrsaufkommen in den nächsten 25 Jahren relativ konstant zu halten und statt dessen den Anteil des öffentlichen Verkehrs um kanpp ein Drittel zu erhöhen. Das Transportministerium geht dagegen von einer Verdoppelung des Autoverkehrs in diesem Zeitraum aus. Um das zu verhindern, empfiehlt die Kommission, mehr Geld für den öffentlichen Transport, vor allem auch in neue Straßenbahnlinien zur Verfügung zu stellen. Pilotprojekte wie in Manchester haben bewiesen, daß 40 Prozent der Fahrgäste ein Auto besitzen, jedoch die Straßenbahn vorziehen. Dennoch liegen die Pläne in Dutzenden anderer Städte auf Eis, weil für ihre Verwirklichung das Geld fehlt.

Ein Kernpunkt des Berichts ist die Forderung nach vernünftiger Stadtplanung. Die gigantischen Hyper-Supermärkte, die überall an den Stadträndern aus dem Boden schießen, sind der Kommission ein Dorn im Auge. So haben die Geschäfte im Zentrum Dudleys einen Umsatzrückgang von 70 Prozent verzeichnet, nachdem das „Merry Hill Shopping Centre“ vor den Toren der Stadt eröffnete. Zwischen 1985 und 1990 hat sich die Zahl der Vorstadt-Supermärkte auf mehr als 1.500 verdoppelt – zum Nachteil der unteren Einkommensschichten, die kein Auto besizten. Stephen Joseph von der Initiative „Transport 2000“ begrüßte diesen Punkt des Berichts, wünschte sich jedoch, die Kommission wäre noch einen Schritt weitergegangen: Er wies auf Deutschland und Irland hin, wo die Hypermärkte oft an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind oder die kostenlose Lieferung der Waren anbieten.

Wird der Bericht der Königlichen Kommission also auf dem Regal verstauben? Vermutlich. Die Tory-Regierung setzt im Kampf um ihr politisches Überleben andere Prioritäten, und die frisch gewendete Labour Party wird sich gewiß nicht mit der Auto- Lobby anlegen, hat sie doch gerade den letzten Hauch von Radikalität zugunsten der erhofften „Wählbarkeit“ abgelegt. Ralf Sotscheck