Gezielt gestreute Gerüchte in Algier

Vor vierzig Jahren begann der bewaffnete Kampf gegen die Franzosen / Heute herrscht Bürgerkrieg / Spekulationen um die Fortsetzung des Dialogs zwischen Regime und FIS  ■ Aus Amman Khalil Abied

Nach Feiern ist den meisten Algeriern nicht zumute, wenn heute in dem nordafrikanischen Land ein wichtiges Datum begangen wird: Vor vierzig Jahren begann der bewaffnete Aufstand gegen die Franzosen, die das Land seit 1830 beherrschten. Die Erinnerung daran und an den Krieg, der eine Million Opfer forderte und 1962 zur Unabhängigkeit führte, ist überlagert von den Geschehnissen den Gegenwart, der blutigen Konfrontation, die nun unter den Algeriern selbst stattfindet. Heute wünscht sich die Mehrheit der Algerier nur, daß der Tag ohne größere Zwischenfälle zu Ende geht.

Die gegnerischen politischen Lager – das Regime unter Präsident Liamine Zeroual auf der einen und die verbotene Islamische Heilsfront (FIS) auf der anderen Seite – nutzten die Tage im Vorfeld des historischen Datums zu einem Schlagabtausch in den Medien. Der Präsident erklärte den nationalen Dialog für beendet, nachdem die Nationale Befreiungsfront FLN, die nach der Revolution einen Einheitsstaat errichtet hatte, und die Berberorganisation FFS den Boykott der Gespräche beschlossen hatten. Umgekehrt machten die „historischen“ Führer der FIS, Ali Belhadj und Abbassi Madani, das Regime einmal mehr für die politische Sackgasse verantwortlich.

Angesichts dieser Situation schwirren alle möglichen Gerüchte durch die Hauptstadt Algier. So munkelt man, daß die „Falken“ in Armee und Regime, die Verhandlungen mit der FIS ablehnen, gegen Präsident Zeroual putschen wollen. Es gäbe einen Plan, nach dem Belhadj und Madani, die vor einigen Wochen aus dem Gefängnis entlassen wurden und jetzt unter Hausarrest stehen, umgebracht werden sollen. Nach dem Sturz des Präsidenten werde sich die Armee spalten, die Ermordung der beiden Scheichs würde eine Welle der Gewalt auslösen, das Land werde in eine noch ungewissere Zukunft getrieben.

Hinter solchen Gerüchten stehen nach Ansicht diplomatischer Kreise in Algier die „Falken“, die Zeroual unter Druck setzen wollen, damit er keine Gesten gegenüber den Islamisten macht. Dem Präsidenten nahestehende Kreise sprechen davon, FIS-Gefangene freizulassen, die Front wieder zu legalisieren und den Hausarrest von Belhadj und Madani aufzuheben.

Nach gut informierten Kreisen in Algier führen Mitarbeiter des Präsidenten nach wie vor hinter den Kulissen Gespräche mit den beiden Scheichs. Dabei soll es um die Bildung einer Übergangsregierung gehen, an der entweder FIS- Mitglieder oder der Front nahestehende „gemäßigte“ islamistische Persönlichkeiten beteiligt werden sollen. Die „Falken“, die die radikalen Islamisten militärisch zerschlagen wollen, fürchten, daß der Präsident einen Kompromiß mit der FIS auf ihre Kosten machen könnte. Deshalb versuchen sie, den Dialog zu verhindern.

Die Konfliktlinien innerhalb der algerischen Führung sind verwoben mit den Positionen der Regierungen in Paris und Washington. Während die USA Dialogversuche des Präsidenten mit „gemäßigten“ Islamisten unterstützen, steht Frankreich auf Seite der „Falken“. Die französische Regierung wirft den USA vor, die „Karte der FIS“ opportunistisch auszuspielen, um den Interessen Frankreichs zu schaden, und beklagt, daß FIS-Politiker sich in den USA frei bewegen können.

Zeroual, der fest davon überzeugt ist, daß eine militärische Lösung im Konflikt mit den Islamisten unmöglich ist, steht einer starken Opposition in den Machtzentren des Militärs, des Geheimdienstes und im staatlichen Verwaltungsapparat gegenüber. Wiederholt warnten die Generäle den Präsidenten davor, zuviele Konzessionen gegenüber den Islamisten zu machen. „Wir haben dich an die Macht gebracht, wir können dich auch entlassen“, so die Generäle gegenüber dem Staatschef. Seitens der FIS hört sich das so an: „Wenn sie [die Politiker um Zeroual, d. Red.] unfähig sind, eine Lösung für die Krise zu finden, raten wir ihnen zum Rücktritt, um die Militärjunta zu entlarven“, heißt es in einer Erklärung der FIS-Auslandsführung vom Sonntag nachmittag.

Probleme haben aber auch die beiden Scheichs der FIS. So lehnt die radikalere „Bewaffnete Islamische Gruppe“ (GIA) jedweden Dialog strikt ab. Statt dessen fordert sie die Fortsetzung des Kampfes bis zum Sturz des Regimes. Nach Meinung politischer Beobachter ist die GIA militärisch stärker als die FIS – oder hat in den letzten Monaten zumindest mehr spektakuläre Anschläge durchgeführt.

Auch in den Reihen der FIS gibt es Meinungsverschiedenheiten. Mitglieder von bewaffneten Gruppen stellen sich ebenfalls gegen einen Dialog, da der Sieg doch nahe sei. In Kreisen der FIS-Führung werden solche Differenzen nicht besonders ernst genommen. Dort geht man davon aus, daß die Mehrheit ihrer Anhänger den Anweisungen von Belhadj und Madani Folge leisten werden, wenn diese erst einmal ihre volle Bewegungsfreiheit wiederhaben.