Die Europäische Union läßt sich bitten

Die Deutschen wollen die Annäherung an Osteuropa, doch die übrige EU zögert / Mittel- und osteuropäische Staaten beim ersten gemeinsamen Treffen enttäuscht  ■ Aus Luxemburg Alois Berger

Manchmal merkt die Menschheit einfach nichts vom Fortgang ihrer Geschichte, und so war sich gestern nur Klaus Kinkel ganz sicher, einem „Treffen von historischer Bedeutung“ beizuwohnen, als er in Luxemburg die erste offizielle Sitzung der EU-Außenminister mit ihren sechs Kollegen aus den mittel- und osteuropäischen Staaten eröffnete.

Kinkel muß damit die bloße Tatsache gemeint haben, daß die Außenminister von Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und der Tschechischen Republik nach Luxemburg gekommen sind. Denn Entscheidungen über die Geschwindigkeit der Annäherung oder gar einen Zeitplan für den EU-Beitritt dieser Länder gab es auch diesmal nicht. Der polnische Außenminister Olechowski war nicht der einzige, der sich über die zögerliche Haltung der Europäischen Union beklagte. Er erinnerte an Versprechen der EU über einen regelmäßigen Informationsaustausch und über finanzielle Unterstützung, die nur teilweise eingelöst würden. Die Vorstellungen der EU würden sich zur Zeit „auf halbem Wege“ mit den Erwartungen der mittel- und osteuropäischen Staaten treffen.

Die Heranführung der östlichen Nachbarn an die Europäische Union ist vor allem ein deutsches Anliegen, das von der Mehrheit der EU-Partnerländer nicht mit demselben Enthusiasmus verfolgt wird. Kinkel versucht deshalb, die sechs Monate der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU zu nutzen, um den Annäherungsprozeß so weit voranzubringen, daß dieser fast automatisch weiterläuft. Diese Automatik soll garantieren, daß die langfristigen Vorbereitungen für die Ost-Erweiterung der EU auch unter der nachfolgenden französischen und dann der spanischen Ratspräsidentschaft weitergehen. Paris und Madrid zeigen bei der Ostpolitik der EU größere Zurückhaltung.

Die deutsche Regierung hat deshalb darauf gedrängt, regelmäßige Treffen der europäischen Fachminister mit ihren östlichen Kollegen einzuführen und das Ganze dann „strukturierten Dialog“ zu nennen. Das gestrige Treffen war das erste Außenministertreffen im Rahmen des strukturierten Dialogs. Eine zunehmende Zusammenarbeit gibt es auch auf Verwaltungsebene. Die Europäische Kommission ist dabei, ein Beratungsteam zusammenzustellen, das den mittel- und osteuropäischen Staaten helfen soll, ihre Gesetze vor allem im Wirtschaftsrecht an die Europäische Union anzugleichen.

Wirtschaftsexperten haben in letzter Zeit darauf hingewiesen, daß für die Heranführung der östlichen Nachbarn auch Gesetze in der EU geändert werden müßten. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London hat in einer Studie vorgerechnet, daß die Handelsbeschränkungen und Antidumpingzölle der EU die Entwicklung der Marktwirtschaft in den mittel- und osteuropäischen Staaten blockiere. Vor allem die europäische Agrarpolitik mit ihren enormen Exportsubventionen, aber auch die Abschottungen des EU-Stahlmarktes würde den jungen Demokratien die ständig geforderten Wirtschaftsreformen erschweren. Um den Umbau zu finanzieren, müßten diese Länder mehr exportieren. Doch zur Zeit exportiert die EU in diese Länder rund eineinhalbmal soviel, wie sie von dort einführt.