„Zerreißprobe“ für SPD in Thüringen

■ CDU/SPD-Koalitionsverhandlungen unterbrochen

Erfurt (taz) – Was den Sachsen- Anhaltinern ihre Harzautobahn, das ist den Koalitionären in Erfurt der Highway durch den Thüringer Wald. Bei den am Freitag unterbrochenen Verhandlungen zwischen CDU und SPD in Thüringen spielt – ähnlich wie bei Rot-Grün in Magdeburg – der Asphalt eine wichtige Rolle. Kröten schlucken müssen in Erfurt aber die Sozialdemokraten. Ihre Bilanz fällt nach der ersten Verhandlungsrunde nicht glänzend aus: Der zunächst alleine von der alten CDU/FDP- Landesregierung befürwortete Bau einer Autobahn durch den Thüringer Wald wird nun auch von den Sozis mitgetragen. Nur etwas „enger“ sollen die Fahrspuren werden. Und auf „Druck“ der SPD wird es mehr Abfahrten zur Anbindung auch kleiner Gemeinden geben.

Doch neben dem Streit um Grünstreifen und die bereits diskutierte Arbeitsmarktpolitik könnte die jetzt beschlossene einwöchige Verhandlungspause wieder stärker auch von der SPD-PDS-Debatte bestimmt werden. Halten sich die wenigen Sozialdemokraten, die ein Gesprächsangebot an die PDS – wie in Mecklenburg – gern gesehen hätten, weiter zurück?

Bislang hat es nur die Landesvorsitzende Gisela Schröter gewagt, die ihrer Auffassung nach in der Wahlnacht „vorschnell“ ausgegebene Parole von der Großen Koalition öffentlich zu kritisieren. Schröter wird allerdings nicht wieder für das Amt der Parteivorsitzenden kandidieren. So wird es wohl Gerd Schuchardt, der designierte Vizeregierungschef neben Bernhard Vogel (CDU), auf dem nächsten Parteitag mit übernehmen.

Hinter vorgehaltener Hand aber machen auch Fraktionsmitglieder der SPD ihren Vorsitzenden und Verhandlungsführer dafür verantwortlich, daß man nun „auf Gedeih und Verderb“ mit den ungeliebten Christdemokraten zusammengehen müsse. Nach der Wahl habe Verhandlungsführer Schuchardt den Umstand, daß die PDS mit fast 17 Prozent erneut den Sprung in den Landtag geschafft habe, hartnäckig ignoriert. Einer Koalition ihrer Partei mit der PDS erteilen allerdings auch die heimlichen sozialdemokratischen Kritikaster eine klare Absage. Die Genossen in Mecklenburg-Vorpommern, so aber ihre Überzeugung, hätten dennoch klüger ge- und verhandelt, denn mit dem Offenhalten der Option auf eine Zusammenarbeit auch mit der PDS halte man bei konkreten Verhandlungen mit der CDU die „besseren Karten“ in Händen.

Doch in Thüringen scheuen fast alle Sozialdemokraten die längst überfällige Debatte um das Verhältnis der Partei zur PDS wie der Teufel das Weihwasser. Daß eine solche Debatte zu einer „Zerreißprobe“ für die Sozialdemokraten werde, glaubt man vor allem im Umfeld von Schuchardt. In der abgelaufenen ersten Legislaturperiode im Landtag wurden die PDS- Abgeordneten von nahezu allen anderen ParlamentarierInnen mit kollektiver Mißachtung für ihre Vergangenheit abgestraft – und die CDU-VertreterInnen verließen bei Redebeiträgen von PDS- Abgeordneten sogar den Plenarsaal.

Sehr erfolgreich war diese Strategie der Ausgrenzung allerdings nicht. Denn die PDS sitzt seit dem 16. Oktober mit noch mehr Abgeordneten im Landtag. Fraktionsgeschäftsführer Heiko Gentzel glaubt denn auch, daß man die PDS in Zukunft „wie eine ganz normale Partei“ behandeln müsse. Denn bei Beibehaltung der Ausgrenzungstaktik behalte die SED-Nachfolgepartei automatisch den Status einer verfolgten und entrechteten Partei – und könne so weiter den Solidaritätsbonus bei all denen einstreichen, die sich nach der Wende gleichfalls „verfolgt und entrechtet“ fühlten. In einem Dreiparteienlandtag unter den Bedingungen einer Großen Koalition dürfe auch aus demokratischen Erwägungen heraus die einzige Oppositionspartei nicht einfach ignoriert werden. Denn das, so sagt ein SPD-Abgeordneter, der seinen Namen „lieber nicht“ in der Zeitung lesen will, käme doch einer „Zweiparteiendiktatur“ gleich.

Themen der nächsten CDU- SPD-Runde: die Wirtschafts- und Innenpolitik sowie die im Wahlkampf umstrittene Bildungspolitik. Klaus-Peter Klingelschmitt