■ Normalzeit
: Alle Ostwinde!

In der Husemannstraße 13 gibt es jetzt ein chinesisches Restaurant ohne Asien-Kitsch und Endlos-Speisekarte: „Ostwind“. Der Besitzer, Fang Yu, lebte zehn Jahre in Westberlin. Danach eröffnete er in Dresden ein Restaurant, das jetzt von seiner sächsischen Freundin geleitet wird. Eine chinesische Künstlerin gestaltete ihm sein zweites Lokal, in dem die Räume so einfach bemöbelt sind, wie die Speisekarte schlicht ist. Die Wände sind quittegelb angestrichen; in Fußhöhe verpinselte die Künstlerin auch ein bißchen rot. Mit dem Namen „Ostwind“ will Fang Yu auf eine Mao-Gedichtzeile anspielen: „Der Ostwind wird den Westwind besiegen.“ Der Spruch aus der Kulturrevolution hat wiederum ein altes Sprichwort zum Hintergrund – bei Erfolg sagt man in China: „Der Ostwind bläht mir die Segel.“

Bis vor kurzem gab es auch noch eine Ostberliner Zeitschrift namens Ostwind, mit einer ähnlich politökonomischen Konnotation. Sie wurde von der Berliner Betriebsräte-Initiative herausgegeben. Zweimal wurde das Blatt auf dem Fotokopierer des Betriebsrates vom Werk für Fernsehelektronik vervielfältigt und dreimal der taz beigelegt, einmal auch dem ND. Obwohl der Bischofferöder Betriebsrat Ende vergangenen Jahres noch eine dicke Summe Soligeld der (zuletzt maoistischen) Redaktion überwiesen hatte, erschien seit dem Ende des Kampfes der Kalikumpel keine Ausgabe mehr.

Die Berliner Initiative spaltete sich in Sympathisanten und Betriebsräte. Erstere neigten dem Neuen Forum zu, letztere der PDS, die dann einige von ihnen auch als Bundestagskandidaten nominierte: Hartmann, Jütemann und Willibald Jacob. Gerd Poppe vom Bündnis 90/Die Grünen beruft sich ebenfalls gerne auf die Betriebsräte-Initiative und betont, wie wichtig seine Partei z.B. beim Arbeitsplatzkampf in Bischofferode war. Dabei beteiligte sich nur Klaus Wolfram vom Neuen Forum am Hungerstreik dort, und er hat mit den Bündnis-Grünen nichts zu tun. Ansonsten sorgte Konrad Weiß bei der Besetzung des Reichstags durch die Kalikumpel sogar dafür, daß diese von der Polizei aus dem Gebäude geschmissen wurden: Er rief nämlich Rita Süssmuth in Bonn an und sagte, das Ganze sei eine PDS-Aktion, und deswegen solle sie den Reichstag räumen lassen. Ich hatte als Ostwind-Redakteur einige Ausgaben lang erfolgreich die Mitarbeit eines Münchner Maoisten abwehren können, wurde dann aber durch einen Antrag von ihm zusammen mit PDS-Vorständler Jakob Monata aus der Initiative ausgeschlossen. Aus der Redaktion des Ostwind flog ich dann ebenfalls raus. Die Zeitschrift erschien danach jedoch nur noch ein einziges Mal, wobei sie als Organ einer Osram-Betriebsgruppe firmierte.

Die Betriebsräte trafen sich hernach noch ein paarmal in den Räumen der IG Medien, wo die Betriebsrätin Konstanze Lindemann Vorsitzende ist, dann versandete aber auch diese von fast allen Sympathisanten gesäuberte zweite Betriebsräte-Initiative. Sie hatte sich mittlerweile nicht weniger politisieren lassen als die andere Gruppe und zudem ihren alle Ost-Belegschaften einigenden Gegner, die Treuhandanstalt, verloren. Die meisten Betriebe waren inzwischen privatisiert und ihre Probleme damit diversifiziert worden. Man wird sich aber sicher bei Fang Yus „Ostwind“ über kurz oder lang noch einmal zusammensetzen, denn der hat dort genau jeden Punkt getroffen, auf den es jetzt ankommt: Klassenkampf ja – aber bitte mit Stäbchen! Helmut Höge

wird fortgesetzt