Staffel ohne Staffelt

■ Berliner SPD-Chef will sich ins Private zurückziehen / Wird Sozialsenatorin die kommende Regierende Bürgermeisterin?

Berlin (taz) – Bei den Landtagswahlen in Berlin im Oktober 1995 wird die Staffel der SPD-KandidatInnen ohne ihren bisherigen Chef Ditmar Staffelt antreten. Nachdem der 45jährige Politologe am Montag abend bekanntgegeben hatte, er werde vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurücktreten und als Spitzenkandidat gegen den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) nicht mehr zur Verfügung stehen, entbrannte gestern in der Berliner SPD Streit um seine Nachfolge. Mit Staffelts Rückzug ist nun die Chance der jetzigen SPD-Sozialsenatorin Ingrid Stahmer gestiegen, im nächsten Jahr die erste Regierende Bürgermeisterin der Stadt zu werden – schließlich hatte die SPD bei den Bundestagswahlen die CDU in Berlin locker überholen können. Stahmer will jedoch nicht für das Amt der Parteichefin kandidieren.

Die 52jährige ehemalige Sozialarbeiterin, wie Staffelt ebenfalls vom linken Flügel der SPD, hatte ihre Kandidatur als Spitzenkandidatin erst letzten Freitag angemeldet. Eine Hürde auf ihrem Weg zum Spitzenamt dürfte sie mit Leichtigkeit nehmen: Zwei Prozent aller SPD-Mitglieder müssen ihre Kandidatur unterstützen. Die zweite Hürde ist schon ein Stück höher: Als erster Landesverband überhaupt werden die Berliner Sozialdemokraten in einer 1995 geplanten Urwahl entscheiden, wer gegen Eberhard Diepgen antreten darf. Dabei ist momentan, nach dem Rücktritt Staffelts, nur noch Stahmer im Rennen. Doch vermutlich sitzen auch andere schon in den Startlöchern.

Staffelt ist nur einer von stolzen 7 Rücktrittlern

Ditmar Staffelt darf sich nun zur Riege von stolzen sieben SPD- Spitzenpolitikern zählen, die in den letzten zehn Jahren alles hinwarfen. Vor ihm war es Walter Momper, der als Regierender Bürgermeister seinen roten Schal geworfen, 1989 den Fraktionsvorsitz und 1992 den Landesvorsitz an Freund Staffelt abgegeben hatte.

Warum Ditmar Staffelt nun plötzlich wieder einen „bürgerlichen Beruf“ ergreifen will – zuletzt war er Angestellter bei einer Stahlbaufirma –, darüber darf gerätselt werden. War es das Gerede über seine Liaison mit der grünen Politikerin Renate Künast, die im Streß der rot-grünen Koalition von anno dazumal geschmiedet wurde? Oder war es nicht vielmehr die Ahnung, daß seine Führungsqualitäten in der jetzigen schwarz-roten Koalition zu wünschen übriglassen? Vollmundig hatte er im Frühsommer bei der letzten Koalitionskrise getönt, am Rücktritt des amtsunfähigen Innensenators Dieter Heckelmann (CDU) führe kein Weg vorbei. Wenig später sah man den großen Ditmar ganz klein und den Skandalproduzenten Heckelmann immer noch im Amte.

Als dann auch noch die in der Stadt nicht unpopuläre Ingrid Stahmer eine Konkurrenzkandidatur mit Frauenbonus anmeldete, mag Staffelt die Nerven endgültig verloren haben. Öffentlich dementiert er jedoch diesen Zusammenhang: Mit Stahmer habe das alles nichts zu tun, seinen Rückzug ins Private habe er schon länger geplant. Seiner SPD tut der stramme Parteisoldat damit aber auf jeden Fall einen Dienst, wenn er sich selbst als König schachmatt setzt und einer Dame den Vortritt läßt. Ute Scheub