Cola und Koran

■ arte zeigt heute um 20.40 Uhr einen Themenabend zur Türkei

Mit einem Themenabend macht sich arte heute abend mal wieder um die Völkerverständigung verdient. „Islamisch, europäisch, asiatisch: Die Türkei“ heißt das gut vierstündige Unternehmen, das sich in erster Linie dem kulturellen Zwiespalt des Landes an der Nahtstelle zwischen Orient und Okzident widmet. Ein Spannungsverhältnis, das nach den Erfolgen der fundamentalistischen Wohlfahrtspartei bei den letzten Kommunalwahlen sowohl westlich orientierte Türken als auch Nato-Strategen in Brüssel die Stirn in Sorgenfalten legen läßt. In seinem Porträt Mustafa Kemal Atatürks führt Klaus Liebe die verschärfte Identitätskrise des Landes unter anderem auf dessen Reformpolitik in den zwanziger und dreißiger Jahren zurück. Mit radikalen Maßnahmen (Trennung von Religion und Staat, Schließung der Koranschulen, Einführung der lateinischen Schrift) versuchte der „Türkenvater“ die Nation mit aller Macht auf Westkurs zu trimmen.

Zu Atatürks Reformen gehörte aber auch die Gleichstellung der Geschlechter. Und erstaunlicherweise finden sich in den urbanen Zentren der heutigen Türkei mehr Frauen in hochrangigen Positionen als in manch anderem europäischen Land. So werden zwei Drittel aller Rechtsanwaltskanzleien von Frauen geführt.

Doch wie der Beitrag „Was ich im Kopf und auf dem Kopf habe“ deutlich macht, sehen sich diese Karrierefrauen westlichen Typs zunehmend islamischen Aktivistinnen gegenüber, ohne deren emsige Basisarbeit auch die Erfolge der Wohlfahrtspartei nicht zustandegekommen wären. Denselben Zwiespalt macht der Film „Gedanken wie Zündstoff“ unter den Kulturschaffenden der Türkei aus. Verfechter von Tolerenz und Aufklärung wie die Schriftsteller Aziz Nesin und Yasar Kemal oder Filmregisseur Zülfü Livaneli geraten mehr und mehr in Konflikt mit islamischen Intellektuellen, die nicht nur gegen Coca-Cola wettern, sondern die Scharia wieder zum Gesetz machen wollen.

Des weiteren im Programm dieses Themenabends: „Jenseits des Flusses“, eine Reisereportage entlang der Seidenstraße durch das alte Turkmenistan, und die erotische Komödie „Die Tagträume der Frau Cazibe“ von 1992.

Summa summarum: Löblicher Nachhilfeunterricht für alle Kebab-Verkoster und Antalya-Touristen. Und erst recht für jene Zeitgenossen, denen vom Hammel sowieso nix auf den Tisch kommt. Einziges Manko: Die Kurden kommen in den einzelnen Filmen zwar immer wieder mal vor, aber ein eigener Kurdenbeitrag, besser noch: ein kurdischer Beitrag hätte diesem Projekt auch nicht schlecht zu Gesicht gestanden. Reinhard Lüke