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Nicht sendefähig...

aber bühnenerprobt: Musikerinnen bei „Wie es ihr gefällt“  ■ Von Waltraud Schwab

„Heulboje“, „Nebelkrähe“, „Primatonne“, aber auch „Rockröhre“, „Popsirene“, „Folkfee“ – nur ein paar Bezeichnungen, die man für Frauen, die Musik machen, bereithält. Welche Wertschätzung sich darin versteckt, ist offensichtlich.

Immerhin, daß es gute Musikerinnen und Sängerinnen gibt, hat sich mittlerweile bei einigen Leuten herumgesprochen. Daß dem Publikum – und zwar dem ganzen, nicht nur dem weiblichen – auch die Möglichkeit geboten werden sollte, diese zu hören und zu sehen, soweit geht die Einsicht noch nicht. „Man meint, man renne offene Türen ein, wenn man fordert, daß Musikerinnen endlich mehr Raum gegeben werden soll. Schaut man sich um, stellt man aber fest, daß die meisten renommierten Festivals weiterhin mit sehr wenigen Frauen auskommen. In diesem Jahr zum Beispiel wieder das JazzFest Berlin“, sagt Anna Bianca Krause. Zusammen mit Inge Morgenroth, Uschi Schröder und Angela von Tallian organisiert sie das 4. Musikerinnenfestival „Wie es ihr gefällt“. Selbst als Musikvermittlerinnen und -kritikerinnen tätig, wissen sie, worum es geht. „Besonders in der Musik – und das ist ein Unterschied zu den anderen Kunstsparten – wird Frausein und Musikerinsein ständig vermischt. Gesang, Spiel und Bühnenpräsenz werden nach dem Grad der erotischen Ausstrahlung beurteilt. Deshalb erfährt man bei Sängerinnen so oft etwas über ihr Aussehen, während ihre Kunst dahinter zurückbleibt. Madonna hat das zu ihrem Thema gemacht.“

Das Festival sei „aus der Wut geboren“, erinnert sich Inge Morgenroth. Im Anschluß an ihre Forschungsarbeit zur Entstehung der Frauenmusikszene sei sie 1991 durch Übungsräume und -keller gezogen und habe dann eben mit zwei anderen Musikerinnen das Programm für das erste Festival zusammengestellt. Ohne Zielvorgaben. Sie wollten einfach nur ein Forum bieten für Frauen, die sich jenseits der traditionellen Rollen („Frontfrau“, „Gogo-Girl“ etc.) mit Musik beschäftigen. Seither findet „Wie es ihr gefällt“ statt; dieses Jahr zum erstenmal auch in München und Zürich.

Die Grenzen zwischen Unterhaltungsmusik und sogenannter „Ernster Musik“ sind fließend geworden. Gerade in diesem Zwischenbereich, der manchmal mit Wörtern wie „experimentell“ oder „innovativ“, manchmal auch mit dem Neologismus „Ü-Musik“ umschrieben wird, arbeiten sehr viele Frauen. Da diese Musik jedoch nirgends so recht dazugehört, fühlt sich niemand dafür zuständig. Das geht bis in institutionalisierte Verhältnisse hinein. Um von den höheren Tantiemen zu profitieren, die das GEMA-Bonus-System für Ernste Musik vergibt, müßte die Musik im Rahmen bestimmter Vorgaben notiert werden. Aber auch bei der harten Vermarktung der U-Musik in den Medien fällt Innovativ-Experimentelles durch die Raster, etwa weil es nicht die geforderte Schnelligkeit – soundsoviel „beats per minute“ – aufweist und hohe Frequenzen als nicht sendefähig gelten. Radiomacher gehen ja inzwischen so weit, Gitarrensoli aus Mainstream- Nummern herauszuschneiden – aus lauter Angst, der Autofahrer, der das auf dem Weg zur Arbeit hört, könnte an den nächsten Baum fahren.

Fast überflüssig, zu betonen, daß gerade in den Zwischenbereichen eine Musik entsteht, die sowohl Ideenlieferant für die „Ernste“ als auch die Unterhaltungsmusik (inclusive Jazz und Rock) ist. Das Festival „Wie es ihr gefällt“ macht ohnehin keinen Unterschied zwischen den Sparten. „Wir versuchen zwar, die vier Abende inhaltlich kohärent zu gestalten“, sagt Anna Bianca Krause, „aber die Schwerpunkte, die wir setzen, sind ganz verschieden. Von spröder Diatonik bis Big-Band-Rhythmen, von Hardrock bis Vokalpoesie und Klangforschung.“

Die Veranstalterinnen verstehen ihre Arbeit als Akt der Politik. Es geht sowohl darum, Musikerinnen und Sängerinnen in ihrer Arbeit zu unterstützen und zu dokumentieren, als auch darum, sich nicht auf die gängigen Hörschemata festlegen zu lassen. Obwohl das theoretisch Modellen des „Spiels“ folgt, ist es praktisch Steinbrucharbeit, die nur mit einem Höchstmaß an Idealismus zu bewältigen ist. Der finanzielle Rahmen ist, gelinde gesagt, nicht sehr weit. „Am Geld mißt die Gesellschaft, ob etwas wertvoll ist oder nicht. Für die Arbeit, die wir tun, gibt es unter den derzeitigen kulturpolitischen Prämissen, die alle darauf abzielen, hauptstädtische Großveranstaltungen zu fördern und den unberechenbaren Berliner Kulturdschungel auszutrocknen, kaum eine Lobby. Es sei denn, wir schaffen sie uns selbst.“

Uschi Schröder, die das sagt, hat jahrelang das SO 36 – einen Veranstaltungsort, an dem (nicht nur) Frauen wie Nina Hagen mit nostalgischen Gefühlen hängen – „mitgemacht“. Gerne würde Hagen in dem Ex-Supermarkt und Wahrzeichen einer leicht versunkenen Kiezkultur noch einmal auftreten. Allein das SO 36 ist zu klein – und seine Zukunft angesichts der leeren Berliner Kulturkassen völlig ungewiß. Das ist allerdings nicht das eigentliche Kriterium, weshalb „Wie es ihr gefällt“ auf große Namen verzichtet.

Stars werden hier allenfalls geboren. Und wer den Moment nicht verpassen will, muß sich auf Unbekanntes einlassen. In drei Städten sind an elf Tagen bei 39 Auftritten fast hundert Künstlerinnen zu hören und zu sehen – angefangen bei den zarten Kompositionen der Holländerin Ig Hennemann, die sie auf der Bratsche spielt, bis zum Abschlußkonzert des eigenwilligen Trios Les Diaboliques mit Sängerin Maggie Nicols, der „Klaviertaucherin“ Irène Schweizer und Joälle Leandre, deren Kontrabaß „ihre Säule und ihr Kreuz“ ist.

Auch an den Rändern des Experiments wird experimentiert. Die Bittova-Schwestern, deren Vater einer slowakischen Romafamilie entstammt, stehen auf einer ganz persönlichen Ebene dafür, daß sich Freistil und Traditionelles nicht ausschließen, ja sogar ergänzen können – allerdings in unterschiedlichen Städten. Während Ida Bittova-Kelarova in Berlin tiefe, getragene und manchmal wütende, auf Zigeunermusik basierende Stücke vortragen wird, spielt ihre Schwester Iva Bittova in München unerhörte Geigensoli, zu denen sie sehr trotzig ihre minimalistischen Texte singt. Die unbeschreibliche Hilde Kappes ist zumindest BerlinerInnen mittlerweile ein Begriff, weniger allerdings die Norwegerin Siri Austeen oder das Billy Tipton Memorial Quartet mit vier Saxophonistinnen (so benannt nach dem Saxophonisten und Bandleader Billy Tipton, der, wie erst bei seinem Tod bekannt wurde, in Wirklichkeit eine Frau war). Und und und: Stimmwunder mit viereinhalb Oktaven, entfesselte Irinnen, glasklare Analytikerinnen – natürlich auch Rockmusik: härteres von Lynne Messinger, der ehemaligen Gründerin von Unknown Gender, neben dem Folkrock der italienischen Band Fastilio und Hardrock vom Balkan mit The Secret. Nicht anreisen durfte die 15jährige Rapperin der Zürcher HipHop-Gruppe Wemean: Dem Vater war Berlin als Stadt zu gefährlich.

Immerhin darf sie jetzt in München auftreten. Hoffentlich so lange und überhaupt genau so, wie es ihr gefällt.

Berlin: 3. bis 6. November, SO36; Zürich: 9. bis 12. November, Rote Halle; München: 17. bis 19. November, Muffathalle. Näheres unter 030-792 03 96.

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