Ohne Kohlepfennig kein Atomstrom

Greenpeace-Studie über den Ausstieg aus der Atomenergie wagt den Aufstand gegen die Gewerkschaften: Energiesparfonds und regionale Anpassungssubventionen gefordert  ■ Von Donata Riedel

Berlin (taz) – Man kann aus der Atomenergie aussteigen, gleichzeitig den Kohlendioxidausstoß konventioneller Kraftwerke senken, volkswirtschaftlich Kosten sparen und trotzdem Arbeitsplätze schaffen. Zu diesem rundum guten Ergebnis kommt die Studie „Strom ohne Atom – Jobkiller oder Jobknüller?“, die Greenpeace gestern in Hamburg vorgestellt hat. Bis zum Jahr 2010 könnten durch den ökologischen Umbau der Energieversorgungssysteme 120.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, wie eine Wissenschaftlergruppe um den Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel im Greenpeace-Auftrag errechnete. Hickel gehört der Gruppe der „Alternativen Wirtschaftsweisen“ an.

In der Studie erweist sich der Ausstieg aus der Atomindustrie noch als der am leichtesten umsetzbare Teil des „tiefgreifenden Strukturwandels“, den die Wissenschaftler wollen: Von den noch 17.000 Atomarbeitern könnten 6.000 in anderen Sektoren der Energiewirtschaft weiterbeschäftigt werden. Und anders als in den Sektoren Bergbau und Stahl würde sich der Arbeitsplatzverlust regional verteilen.

Ganz andere Realisierungsprobleme ergeben sich, will man tatsächlich gleichzeitig die Kohlendioxidemissionen, wie von Greenpeace angestrebt, bis zum Jahr 2010 um 43 Prozent senken; denn das hieße: Ausstieg aus der Kohlesubvention, ein Verlust von 100.000 direkten und indirekten Arbeitsplätzen in den Bergbaurevieren Westdeutschlands und weiteren 50.000 in den ostdeutschen Braunkohlerevieren. Diese Regionen, die allerdings auch bei Fortführung der bisherigen Energiepolitik unter einem stetigen Arbeitsplatzabbau leiden werden, sollen nach Hickels Vorstellungen gezielt gefördert werden.

Wie schon in der im Mai vorgelegten Studie „Was kostet der Atomausstieg?“ kontrastiert das Greenpeace-Wunschszenario mit einem Trendszenario, das im wesentlichen auf einer Fortschreibung der heutigen Energiepolitik beruht. Beim Greenpeace-Szenario wäre der Bergbau ein klarer Verlierer. „Das muß man politisch aushalten können“, sagte Hickel. Neben dem ökologischen Vorteil fielen schließlich auch die milliardenschweren Dauersubventionen für die Kohle weg.

Auf der Gewinnerseite stehen vor allem die metallverarbeitende und elektrotechnische Industrie sowie die Dienstleistungsbranche. 30.000 zusätzliche Beschäftigte wird es allein im Bereich der erneuerbaren Energieträger geben.

Die Studie entwickelt konkrete Gestaltungs- und Finanzierungsvorschläge. Allein durch sparsameren Verbrauch von Strom, rechnen Hickel und seine Mitarbeiter, können bis zum Jahr 2010 insgesamt 170 Milliarden Mark eingespart werden. Die Hälfte dieses Geldes sollten die privaten Haushalte als Belohnung für ihren Beitrag zur effektiveren Nutzung der Energie einbehalten können. Die andere Hälfte soll über eine langsam steigende Strompfennigabgabe in den elektrizitätswirtschaftlichen Energiewendefonds (EWIG) fließen.

Dieses Konzept führt dazu, daß die privaten Haushalte im Jahr 2010 zwar einen höheren Preis für die einzelne Kilowattstunde zahlen. Weil sie Strom einsparen, werden sie jedoch gleichwohl einen erheblichen Kaufkraftgewinn verbuchen. Die Mittel des EWIG-Fonds über 77 Milliarden Mark sollen für Energiespartechniken, zur Durchsetzung regenerativer Energiequellen und für Investitionen in ökologisch verträgliche Kraftwerke verwendet werden. Kleinverbraucher und Industrie dagegen sollen ihre Einspargewinne behalten und für ökologische Investitionen nutzen. Weil in dem Szenario zunächst Kosten anfallen, bevor der EWIG-Fonds aus den Einspargewinnen gespeist wird, plädiert Hickel dafür, EWIG mit Krediten zu füllen, die später wieder abgebaut werden.

Zur Finanzierung von Hilfen, die den ohnehin unvermeidlichen Strukturwandel des ostdeutschen Bergbaus wenigstens unterstützen könnten, schlägt Hickels Studie einen „Sanierungsfonds Braunkohle Ostdeutschland“ (SABO) vor. Der Subventionstopf soll aus den Haushalten des Bundes, der betroffenen ostdeutschen Länder und aus den Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit gefüllt werden. Der freie Markt, auf dem sich die Energieversorger mit Kohle eindecken möchten, findet hier seine Grenze. Die Greenpeace-Studie hält es für erforderlich, eine „Nationale Kohlekonferenz“ einzuberufen. Das Gremium soll den regionalen Abbau der Steinkohle- und Braunkohlewirtschaft koordinieren und außerdem verantwortlich sein für die Formulierung einer regionalen Strukturpolitik, die den Wandel begleiten muß.

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