Obszön sachlich, weiß schwarz

■ Needcompany mit „Snakesong/Le Voyeur“ und Suver Nuver mit „Negerangst“ auf Kampnagel

Es gibt sicherlich kaum eine Gruppe, die das Spiel mit der souveränen Distanz derartig überzeugend beherrscht wie Jan Lauwers Needcompany. Kühl und mit höchst beherrschter Zurückgenommenheit inszeniert Lauwers leidenschaftliche Themen als permanente Moderation, Übersetzung und Transformation. Dazu benützt er verschiedene Sprachen ebenso selbstverständlich (mit Betonung auf „-verständlich“) wie die Vertauschung von Geschlechts-Perspektiven oder die technische Zwischenwelt, wenn er für alle gesprochenen Beiträge das Mikrophon benutzt. Wie trotz dieser permanenten Verschiebung von Bedeutungen über diverse Ebenen des Ausdrucks kaltes Mitteilungstheater vermieden wird, zeigt die neue Produktion der Needcompany noch klarer akzentuiert als etwa Antonius und Cleopatra, die letzte hier gezeigte Arbeit der Gruppe.

Grundlage von Snakesong/Le Voyeur – der Titel hat das momentane Kampnagel-Motto Die Lust des einsamen Auges gestiftet – sind Texte von Alberto Moravia etwa aus „Der Zuschauer“ oder „Die Gleichgültigen“. Doch die diesen Texten innewohnende Passion portioniert Lauwers in kleinen Dosen und verteilt sie über diverse Darsteller, teilweise unabhängig vom passenden Geschlecht. Am eindrücklichsten gelingt ihm dies in der Aufarbeitung eines eifersüchtigen Dialogs zwischen einem Gehörnten und seiner Geliebten, die ihn mit einem Piloten betrügt. Vor einem goldenen Vorhang thronen vier weibliche Schönheiten auf kleinen Sockeln und teilen sich die Persönlichkeit der Frau und ihre detaillierte Darstellung des Geschlechtsaktes mit dem Flieger. Flankiert werden sie von dem geprellten Liebhaber mal zwei, einmal als zurückhaltender, einmal als unbeherrschter Hahnrei. Die öffentliche Debatte über private Krisen wird moderiert von einem Professor sowie einer Übersetzerin, die das Englisch/Französisch-Gemisch in die jeweils andere Sprache übertragen und versuchen, die unterschiedlichen „Wahrheiten“ der Beteiligten im Kreuzverhör zutage zu befördern.

Durch die extrem aufgespiegelte Sachlichkeit, mit der das Thema „Liebe, Sex und Voyeurismus“ auch in den anderen Szenen des Stückes dekonstruiert wird, entsteht eine Art romantischer Befreiung der Obszönität durch gefangene Poesie: Die Erotik verschwindet nicht, friert aber ein bißchen ein zwischen Ernst und Kunst, so daß sie leichter verhandelbar wird. Dieses Prinzip erlaubt viele Perspektiv wechsel, trotz der betont schlichten Form. Zwischen Post-Woodstock-Feeling mit Cold-Turkey-Zittern zu Beginn und einer Sprechstunde beim Professor im mondänen Ball-Flair unter Kronleuchtern zum Schluß läßt sich die wohlkomponierte Reduktion der Gefühle auf Tatsachen spannend und humorvoll entwickeln.

Till Briegleb

Noch bis morgen, K6, 20 Uhr

Suver Nuver

Drei Schwarze, ein Mann und zwei Frauen, sitzen gelangweilt auf einem alten Wohnzimmersofa. Sie warten. Über ihren Köpfen hängt eine Leinwand, auf der ein weißer Mann zu beobachten ist, wie er sein Gesicht sorgfältig mit brauner Farbe bemalt. Er setzt sich eine schwarze Lockenperücke auf, wirft einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und macht einen zufriedenen Eindruck: aus dem dunklen Gesicht funkeln uns zwei strahlend blaue Augen entgegen. Die Show kann beginnen.

Negerangst heißt die neueste Produktion der niederländischen Gruppe Suver Nuver in der Regie von Ton Kas. Sie handelt von den Niederländern Henk, Peer und Dette, die ihre schwarzen Freunde Yuklin, Maxi und Andy einladen, um ihnen ein traditionelles Krippenspiel zu zeigen. Was als gutgemeinter Akt der Völkerverständigung beginnt, endet als Fiasko. Geduldig lassen die Gäste eine unbeholfene, betont emotionsgeladene Breakdanceperformance, die der schwarz bemalte Peer auf das Parkett legt, über sich ergehen. Sie löffeln brav die von Henk servierte Tomatensuppe aus und tun sogar so, als würden sie sich über Peers Geschenk (eine mit Teebeuteln beklebte Plastiktüte) freuen. Doch als Dette, die sich im hinteren Teil der Bühne als Engel herrichtet, mit ihren riesigen Holzflügeln eine Spanplatte umstößt, die um ein Haar die drei Gäste unter sich begräbt, da platzt ihnen schließlich der Kragen, und es wird deutlich, daß zwischen Gästen und Gastgebern trotz aller Bemühungen keine wirkliche Verständigung und Annäherung stattgefunden hat. Die weißen Darsteller zeigen eine ungewöhnliche Bereitschaft ihr Intimstes den Zuschauern zu enthüllen. Ungehemmt gibt sich Dette, meist unbekleidet zu sehen, ihren erotischen Phantasien hin, plaudern sie und Peer geheime Träume und Ängste aus.

Durch sie erfährt der Zuschauer von der Faszination, die Schwarze auf sie ausüben, von den Schuldgefühlen, die sie ihnen gegenüber haben. Die geduldigen Gäste geben dagegen nur relativ wenig von sich preis. So ist das Stück ausschließlich aus der Perspektive der Weißen erzählt. Schade, denn so bleiben die Gäste nicht nur den Weißen auf der Bühne, sondern auch denen im Zuschauerraum das, was sie von Anfang an sind: fremd.

Martje Schulz

Noch bis morgen, K2, 21 Uhr