Gespräche mit Insassen unerwünscht

Die Justizsenatorin führte die Presse durch die Justizvollzugsanstalt Tegel / Statt Normalität wurden nur ausgesuchte Bereiche präsentiert / Drogenkonsum nach wie vor Hauptproblem  ■ Von Barbara Bollwahn

„Durchhalten Männers, ich gehe bald“, ist einer von vielen Sprüchen auf der vollgekrakelten Wand in der Wartezelle für Besucher. Ein häßlicher kahler Raum mit alten Holzbänken an den Wänden, um die Ecke ein verwaistes Klo. Aber dieser unwirtliche Raum war gar nicht für die Augen der neugierigen Journalisten bestimmt, die Justizsenatorin Lore- Maria Peschel-Gutzeit (SPD) in Begleitung der Anstaltsleitung am Mittwoch in die Justizvollzugsanstalt Tegel eingeladen hatte. Einen bestimmten Anlaß für den Rundgang gebe es nicht, vielmehr wolle sie diese Tradition aus ihren Hamburger Zeiten als Justizsenatorin in Berlin fortführen.

Was als „ein Stück Normalität“ angekündigt wurde, war nichts weiter als ein voyeuristischer Blick in ausgesuchte Bereiche hinter dicken Mauern und Gitterstäbe: Gefangene in einem der Sprechzentren, wo sie mit Frau und Kind und selbstgekochten Kaffee unter den Augen von Beamten hinter Glasscheiben beieinander sitzen; gähnende Leere im Langstrafenhaus III, das mit den Gitternetzen, Eisentreppen- und Türen wie ein verlassener Vogelkäfig aussah; Häftlinge in der Metallwerkstatt, die Gitter für ihre eigenen Zellen und die anderer Knäste herstellen. Spontane Gespräche mit Insassen waren ausdrücklich nicht erwünscht.

Statt dessen durfte ein 59jähriger, der im Waschsalon des Hauses III arbeitet, seine Liste mit den täglichen Trommelladungen vorzeigen. Stolz erklärte Anstaltsleiter Klaus Lange-Lehngut das Konzept: Indem die Gefangenen ihre Wäsche selber in die Trommel stopfen, würden sie ein Stück weiter ans soziale Leben draußen herangeführt werden. Und dadurch, daß die Privatwäsche nicht mehr nach draußen gelange, könne auch kein „Heroin im Saum“ versteckt werden.

Nach wie ist der Drogenkonsum das Problem Nummer eins im Tegeler Knast. Eine Erklärung dafür lieferte die Justizsenatorin ganz prompt: „Die Gefangenen geben ihre Suchterkrankung ja nicht an der Pforte ab.“ Zur Lösung des Problems hatte die Regierungskoalition aus CDU und SPD im letzten Jahr ein neues Konzept für den Tegeler Knast beschlossen: die sogenannten Drogenkonsumenten wurden in die über hundert Jahre alten Häuser I, II und III verfrachtet, die angeblichen Nicht-Konsumenten in die Neubauten V und VI. „Der gute Vollzug für die Guten, der etwas schlechtere für die Schlechten“, drückte es der stellvertretende Anstaltsleiter, Günter Schmidt-Fich, mit ganz einfachen Worten aus.

Im Sommer hatten Häftlinge des Hauses III in einem Hungerstreik gefordert, den Insassen der Neubauhäuser mit wesentlich großzügigeren Freistunden- und Zellenaufschlußzeiten gleichgestellt zu werden. Doch die Justizsenatorin hält weiterhin an dem „bewährten“ Konzept fest. Statt dessen kündigte sie für Dezember die Einrichtung einer weiteren Methadonstation an. Auch die Einführung von Einwegspritzen zur Verhinderung einer Aids-Infektion komme nicht in Frage, so Schmidt- Fich. Damit würde man im juristischen Sinne Beilhilfe zum Drogengebrauch leisten.

Lediglich die Forderung der Insassen in den alten Häusern nach Kühlschränken wird schrittweise erfüllt: Haus III sei fast vollständig mit Unterputzleitungen ausgerüstet, im Haus II werde demnächst damit angefangen, so Peschel-Gutzeit. Anstaltsleiter Lange-Lehngut versicherte, daß „mit Hochdruck“ daran gearbeitet werde, die alten Gemäuer „nach modernen Anforderungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ auszurüsten.

Eine deutliche Absage erteilte der Anstaltsleiter auch der Einrichtung einer „Liebeszelle“ im „drogenbelasteten“ Bereich, wie sie es auf der sozialtherapeutischen Station in Haus IV gibt: „Im Drogenbereich wäre das das Letzte.“ Außerdem müsse man aufpassen, daß man bei dieser Frage „nicht in Peinlichkeiten abrutscht“. Denn schließlich sei dieser Raum nicht nur „für die Liebe“ gedacht, sondern solle Ehefrauen auch die Möglichkeit geben, ungestört mit ihren Männern über die Probleme reden zu können, mit denen sie draußen allein zurechtkommen müßten.

Gefangene kommentierten den hochrangigen Besuch auf ihre Art: „Ihr Lügner“, schrie einer aus Haus II. Ein Gefangener in Haus V kritisierte die Verlogenheit der gesamten wohldosierten Besichtigungstour. Statt das „Vorzeigehaus V“ zu präsentieren, sollte der Presse ein Blick in die über hundert Jahre alten Teilanstalten II und I gewährt werden. Dort liegt unter anderem die berüchtigte Dealerstation, von deren „besonders ungünstigen Haftbedingungen“ selbst die Justizsenatorin sprach. Auch die psychiatrisch- neurologische Abteilung und die Arrestzellen mit künstlichem Licht und Panzerglasscheiben standen nicht auf dem Besuchsprogramm. Peschel-Gutzeit kündigte an, daß dieser Besuch nicht der letzte gewesen sei. Ob aber der nächste offener sein wird, bleibt zu bezweifeln.