Karnickelmörder auf MTV

■ Ein britischer Undergroundkünstler erobert amerikanische Kinderprogramme / Stephen Holman demontiert die nett eingerichteten Märchen- und Mythenräume

Stephen Holman brennt an allen Enden gleichzeitig. Er sitzt mir in der „Morphos Gallery“ in San Francisco gegenüber und redet mit vier Händen. Um uns herum hängen Bilder mit Szenen seiner Performances, in der Ecke steht ein Goldfisch-Aquarium mit dem aufgeklebten Schriftzug „Sushi Bar“. Holman ist Multimediakünstler und wurde von MTV für eine heikle Aufgabe gechartert: Er soll den Anschlußcartoon für MTVs Kult „Beavis & Butthead“ kreieren. Weil man in den oberen Etagen des Konzerns zu dem Schluß gekommen ist, daß MTV zu männerlastig geworden ist, arbeitet Holman jetzt an einem Bad-girl- Charakter.

Details sind Verschlußsache, und so nähern wir uns dem Künstler mit einem Rundgang durch sein Werk, um Aufschlüsse über das work in progress zu bekommen: Seine Performances, Bilder, Comics, Videos und Musik sind spontan, grell, kitschig und offensiv. Ein pikierter Rezensent des L.A. Reader hat das Label „avant-gar-bage“ draufgeklebt, und das ist vielleicht sogar ein Kompliment. Vor zehn Jahren ist der Brite in New Yorks Lower East Side gelandet, um dort seine Filme zu zeigen. Im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Publikums eröffnete er seine Screenings mit kleinen Live-Performances und hatte unerwarteten Erfolg.

Homans spektakuläre Bühnen- Events gelangten von der Ost- zur Westküste und bis zum International Theatre Festival in Japan. Laute, bunte und vollkommen abgedrehte Minimal-Kunststücke auf kleinen Bühnen in selbstgebastelten Kulissen und Kostümen. Motive aus Kinderphantasien, vermischt mit blutigen Gewalt- und Sexeinlagen, aber alles in einen fröhlich-schwarzen Humor verpackt, den unsereiner vielleicht zu schnell in die Monty-Python- Schublade einsortiert.

Als Holman Mitte der achtziger Jahre mit einem seiner Stücke (und einem ehemaligen Playboy- Model als Bühnenpartnerin) durch England tourte, mußten die beiden vor einem aufgebrachten Publikum auf die Toilette flüchten und sich dort einschließen. Dabei hatten sie ihr Stück bereits entschärft und waren als Hühner verkleidet aufgetreten. Trotz des öffentlichen Skandals dokumentierte der britische Privatsender Channel 4 die Show in einer Reportage.

Um seine Bühnenkunst zu dokumentieren, begann Holman Momentaufnahmen seiner Stücke auf Leinwand festzuhalten. Auf diesem Weg kam er zur Malerei. Immer in Auseinandersetzung mit seinem Ausgangsmedium, dem Film, zeichnete er Comics. Einige Titel sind in Zwanzigtausender- Auflagen erschienen und in andere Sprachen übersetzt worden.

Die bunten Heftchen ließen sich doppelt nutzen: zum einen als Vehikel für seine verrückten, phantastischen Erotikabenteuer („Weird Burlesque“ ist 1994 im Eros Comix Verlag erschienen), zum anderen fungieren Comics für ihn als Storyboards für Animationsfilme und Videos. Der Schritt zum Fernsehen war folgerichtig, und Holman arbeitete bald für die Produktionsgesellschaft der „Simpsons“. Von CBS wurde er 1989 zur Mitarbeit bei der Sendung „Peewee's Playhouse“ eingeladen. Dieses Kultprogramm ist eine abgedrehte Samstagvormittagsshow für Kids und wurde von namhaften Undergroundfilmemachern und -designern mitgestaltet. (Wer würde Christoph Schlingensieff die Kinderstunde anvertrauen?)

Anfang der Neunziger entwarf Homan die Figur des „Perpetually Grimming Man“ für NBCs Samstagvormittagsprogramme. Produktionen für TNT Network und MTV folgten. Europäische MTV- ExpertInnen kennen die Figur des „Joe Normal“ aus den kurzen Animationsspots der Reihe „Liquid Television“. „Joe Normal“, das ist der arme kleine Fiesling, der von Familie und Schule mit den typischen Drangsalen eines Kinderalltages gequält wird.

Kinderträume, -alpträume und -phantasien sind einige der Hauptquellen, die das Ouevre Holmans speisen. Kaninchen und anderen Tieren, die normalerweise von Erwachsenen instrumentalisiert werden, um ihre Kleinen moralisch und lebenspraktisch auf Kurs zu bringen, sind bevorzugte Opfer Holmanscher Gemeinheiten. Alice auf Acid im Wunderland. Als Kind in England hörte er die typischen Märchen über schlaue Füchse und nette Kaninchen, mußte aber gleichzeitig mitansehen, wie sein Vater, ein leidenschaftlicher Jäger, den Karnickeln das Fell über die Ohren zog und sie zu Stew verarbeitete.

Seine Tabuverletzungen machen ihm Spaß. Er demontiert die nett eingerichteten Märchen- und Mythenräume westlicher Kultur, weist aber gleichzeitig jegliche soapbox attitudes von sich. Er will nicht auf eine Kiste klettern und seinem Publikum die Welt erklären. Daß die US-amerikanischen TV-Chefs diesen absonderlichen dunklen (britischen?) Phantasien die Tore zu den Kinderzimmern der Nation öffneten, erscheint bemerkenswert. Holman wundert das weniger. Er glaubt, daß die crazyness, das Tempo und die Buntheit seiner Geschichten für ein Kinderpublikum auf „Nickelodeon TV“ (für das er gerade arbeitet) genauso attraktiv sind wie für ein 30köpfiges Undergroundpublikum im New Yorker Lower East Side Club. Daß CBS kein Punkladen ist, hat er natürlich realisieren müssen und die fuck you und bitches aus seinen Texten verbannt. Gunter Becker