Was alles nach Gorleben soll

Der Castor-Transport aus Philippsburg ist nur Vorbote für heißere Ware aus Atomkraftwerken unsd Wiederaufbereitungsanlagen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Wann der Panne-Castor aus Philippsburg losfährt, wollte der Bundesumweltminister nicht sagen. Er denkt weiter. „In absehbarer Zeit“, sagte Klaus Töpfer vergangene Woche, werde im Castorlager Gorleben auch „die Einlagerung von Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitung sowie von Hochabbrandbrennelementen möglich.“ Der Minister sprach von einer „Erweiterung der Genehmigung“. Kritiker erkennen eine gänzlich „neue Genehmigung, mit der die Aufgabe des Zwischenlagers ganz anders definiert wird“, wie der Physiker Wolfgang Neumann von der hannoverschen „Gruppe Ökologie“ sagt.

Töpfers „Glaskokillen“ sind 1,30 Meter hohe gut vierzig Zentimeter dicke Glaszylinder, in denen Abfälle aus den Wiederaufbereitungsanlagen eingeschmolzen sind. Mit Ausnahme des Plutoniums und Urans, das extrahiert wird, enthalten sie das gesamte hochradioaktive Inventar der verarbeiteten Brennstäbe.

„Hochabbrandbrennelemente“ dagegen sind verbrauchte Kernbrennstäbe, wie sie zur Zeit in bundesdeutschen Atomkraftwerken anfallen. Sie verbleiben länger im Reaktor, als die Gehnemigung des Castor-Lagers aus dem Jahr 1983 annahm. Sie werden heißer sein und nach dem neuen Konzept der Dauerzwischenlagerung auch länger im Lager bleiben.

Die alte Genehmigung hätte längst widerrufen werden müssen. Dies verlangte auch das niedersächische Umweltministerium. Denn auch das Entsorgungskonzept, auf dem der Bescheid aus dem Jahre 1983 basiert, existiert nicht mehr. Zehn Jahre blieb die Genehmigung ungenutzt. Ein Widerruf ist nach dem Atomgesetz bereits möglich, wenn zwei Jahre lang davon kein Gebrauch gemacht wird. Doch nun soll die alte Genehmigung der neuen den Weg bahnen.

„Natürlich wird unser Bescheid hinreichend konkret sein“, sagt Wilhelm Collin, der zuständige Abteilungsleiter beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), „gerichtsfest“ werde er ausfallen. In solchen Bemerkungen spiegeln sich die gesamten Merkwürdigkeiten des neuen Verfahrens, das als ein Beispiel für den Atomfilz gelten kann. Im September 1993 wurde der „Antrag auf Nutzungserweiterung“ öffentlich erörtert. 1.200 Einwendungen lagen vor, und doch war die Anhörung nach vier Tagen bereits zu Ende. Die Betreibergesellschaft, die Gorlebener Brennelementlager GmbH, hatte nur einen Sicherheitsbericht im Umfang eines Aktenordners vorlegt.

Es wird heiß im Wald des Grafen Bernstorff

Von den vielen neuen Behältertypen, die bald das Zwischenlager füllen sollen, existierten manche erst in Rohentwürfen auf dem Papier. Gutachten, die es den kritischen Experten erlaubt hätten, das neue Konzept auf Gefahrenquellen abzuklopfen, fehlten. „Inzwischen hat der TÜV ein Gesamtgutachten erstellt, dessen Entwurf wir abgesegnet haben“, sagt heute Collin vom BfS. Auch Gutachten des TÜV und der Bundesanstalt für Materialprüfung zu jedem einzelnen Behältertyp lägen vor.

In enger Kooperation von Antragsteller und Genehmigungsbehörde wächst da die neue Genehmigung heran. Die kritische Prüfung des Antrages, die eingentlich Aufgabe des BfS wäre, wird dem Gericht überantwortet.

Daß allerdings die neue Genehmigung das Gorlebener Castor- Lager keinesfalls sicherer machen wird, steht bereits fest. Statt bisher 1.500 Tonnen hochradioaktivem Müll soll das Lager künftig 3.800 Tonnen aufnehmen dürfen. Die maximale Außentemperatur der Castor-Behälter soll von jetzt 95 Grad auf „rund 110 Grad bei den Glaskokillen“ steigen, sagt Collin. Die Behälter, die in der Regel 28 Kokillen enthalten, heizen sich mehr auf, weil in ihnen der Anteil kurzlebiger Spaltprodukte höher liegt. Das gesamte Lager soll statt bisher neun künftig fünfzehn Megawatt Wärme produzieren dürfen, was in etwa der Leistung von 15.000 Heizlüftern entspricht. Abgeleitet werden soll diese Wärme allein durch Schlitze in den Hallenwänden, in die kühlere Luft unten einströmt und heiße oben austritt.

Allerdings darf die Temperatur in der 190 Meter langen Halle 60 Grad nicht übersteigen, da sonst der Beton des Bauwerkes Schaden nimmt, sogar der Einsturz droht. „Natürlich können auch die Brennelemente und Glaskokillen in den Behältern kaputtgehen, wenn die Wärmeabfuhr nicht richtig funktioniert“, erläutert der GÖK-Physiker Neumann. Außerdem ging man davon aus, daß die Kühlung nur dann gewährleistet sei, wenn die Außentemperatur im Tagesmittel 27 Grad nicht übersteigt. Aber Neumann warnt: „Wir hatten im vergangenen Sommer in Niedersachsen eine höhere Durchschnittstemperatur.“

Eine anderer Punkt seines Genehmigungsproblems macht Collin größere Sorgen: Sind die Glaskokillen in den ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen erst einmal gefertigt, läßt sich ihr Inhalt nicht mehr kontrollieren. Eine Überprüfung durch deutsche Beamte oder TÜV-Experten vor Ort in Frankreich oder Großbritannien wäre deswegen unabdingbar. Doch können solche deutschen Kontrolleure als Eingrif in die Souveränität des jeweiligen Staates angesehn werden. „Mitarbeiter aus meiner Abteilung sind bereits verschiedentlich ins Ausland gereist“, sagt Collin. „Abschließend geklärt ist die Frage der Produktkontrolle aber noch nicht.“ An den Verhandlungen zu dieser Frage, die zuerst mit Frankreich geführt werden müssen scheint derzeit der Termin der neuen Genehmigung für das Castorlager zu hängen.