Zum Schutz der Russen

■ Jelzin-Dekret über „außenpolitische Krisen“ versetzt Polen in Aufregung

Warschau (taz) – Ein Dekret des russischen Präsidenten Boris Jelzin über den „Schutz der Russen im Ausland“ hat in Polen große Aufregung verursacht. Das Dekret, dessen Inhalt von der Nachrichtenagentur ITAR-TASS verbreitet wurde und am Mittwoch abend von Jelzin unterzeichnet worden sein soll, sieht vor, daß der russische Präsident im Falle einer schweren außenpolitischen Krise, eines Angriffs auf Rußland oder ein Land, in dem sich Russen aufhalten oder bei terroristischen Übergriffen auf Auslandsrussen diese selbst mit militärischer Gewalt evakuieren kann. Dazu muß er allerdings zuerst den Ausnahmezustand ausrufen.

In Polen hat die Nachricht von der Veröffentlichung des Dekrets zu großen Befürchtungen geführt, da russische Stellen einen Vorfall auf dem Warschauer Ostbahnhof am 23. Oktober dieses Jahres als „terroristischen Akt“ bezeichnet hatten. Damals hatte die polnische Polizei russische Touristen gewaltsam aus einem Zug geholt. Auf Grund dieses Übergriffes hatte der russische Premier Viktor Tschernomyrdin am Dienstag einen lange geplanten Besuch in Warschau abgesagt.

Am Donnerstag lief die Nachricht über das Dekret pausenlos als Hauptnachricht in den polnischen Radiosendungen. Oppositionelle Abgeordnete in Warschau forderten Außenminister Olechowski auf, vor dem Parlament eine Erklärung abzugeben. Sie bezeichneten das Dekret als Ausdruck eines Rückfalls in den sowjetischen Imperialismus. Experten wiesen allerdings darauf hin, daß die Anordnung Jelzins eher auf den Schutz der russischen Minderheiten in den Krisenregionen der GUS ziele. Jelzins Pressebüro teilte schließlich mit, das Dekret sei bereits seit längerer Zeit vorbereitet worden und stehe in keinem Zusammenhang mit den Vorkommnissen von Warschau am 23. Oktober. Im Unterschied zu Polen blieb das Dekret in anderen europäischen Staaten ebenso unbeachtet wie in Rußland selbst. Klaus Bachmann