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Trübe Soße der Zwangsversöhnung

In Polen bahnt sich eine Koalition ehemaliger Dissidenten und ihrer Verfolger an: Erstere liefern dabei die demokratische Glaubwürdigkeit, letztere die Pfründe aus alten Zeiten  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

„Fünf Jahre nach dem Runden Tisch steht die ethische Revolution vor ihrem Fiasko“, schrieb unlängst der damalige Fraktionssprecher des Solidarność-Bürgerklubs, Jacek Zakowski, in der Gazeta Wyborcza. Es sei etwas zerbrochen in Polen – Ehrgefühl und Anständigkeit. Die neuen Leute, die vor vier Jahren mit der Regierung Mazowiecki in die Behörden und Ministerien eingezogen seien, hätten allzu schnell die schlechten Gewohnheiten – Korruption und hemmungslose Raffsucht – ihrer Vorgänger übernommen.

An Beispielen dafür fehlt es Zakowski nicht: Nahezu jeder Abteilungsdirektor und Vizeminister sitze inzwischen in mehreren Aufsichtsräten von Staatsfirmen. „Heute ist klar“, so Zakowski, „daß ein großer Teil jener neuen, gesunden Menschen, die nach 1989 kamen, sich einfach in das vorherige System hat aufsaugen lassen, in dem politische Macht und private Pfründe untrennbar zusammenhingen.“ Zwar weiß Zakowski, daß die Polen die Fachleute des alten Systems nicht einfach entlassen konnten, und er sieht die mangelnde Aufarbeitung der Vergangenheit auch nicht als Ursache für den Wahlsieg der Ex-Kommunisten (siehe Kommentar rechts). Anstatt die Kommunisten zu domestizieren seien die Antikommunisten jedoch von den Vertretern der alten Macht in ihren Reihen aufgenommen worden.

Heute haben diese Vertreter nicht nur genug Geld beiseite geschafft, sie sind auch dabei, wieder an die Macht zu kommen, diesmal ohne kommunistischen Stallgeruch. Hinter dem Rücken unbelasteter Politiker der Regierungskoalition aus Sozialisten und Bauernpartei zeigen sich immer mehr Fossile aus alten Zeiten. Und so stellt sich so manches Mitglied der demokratischen Opposition erstaunt die Frage: „Wie war das möglich?“

Wollte man diese Frage personifizieren, stieße man vor allem auf einen Mann: Adam Michnik. Der Kopf der Dissidenz war der Wortführer und Ideologe der großen Versöhnung. Er vertrat von Anfang an die Auffassung, die friedliche Machtübernahme ohne Aufstand, ohne Revolution sei nicht nur ein taktisches Manöver zur Verhütung von Spannungen, sondern sie sei gut und nützlich.

Um die polnische Rechte in ihre Schranken zu weisen, um eine Hexenjagd auf die Kommunisten oder sogar Blutvergießen zu vermeiden, propagierte Michnik das Zusammengehen der Bürgerbewegung mit dem liberalen Teil der KP. Er versöhnte sich öffentlich mit General Jaruzelski, der sich zu seiner politischen Verantwortung bekannte und mit dem früheren kommunistischen Regierungssprecher Jerzy Urban, der heute noch so denkt, handelt und spricht wie vor zehn Jahren. Zusammen mit der intellektuellen Elite der Solidarność-Bewegung bekämpfte Michnik jeden Versuch, die polnischen Stasi-Archive zu öffnen. Eine Stasi-Debatte wie in Deutschland oder auch nur wie in Tschechien hat es in Polen nie gegeben.

Obwohl die Prämissen von Michniks Linie nicht stimmten, setzte er sich durch. Die Folgen waren fatal, vor allem für die ehemalige antikommunistische Opposition: Nie gab es eine klare Trennung zwischen Demokraten und Kommunisten, Stasi-Opfern und Stasi-Tätern, zwischen Verfolgern und Verfolgten. In der trüben Soße der Zwangsversöhnung der Opfer mit den Tätern kam es zu einer Verwischung von Gut und Böse, von Verantwortung und Schuld. Der Versuch, früheren Angestellten stalinistischer Terrorbehörden ihre Rentenprivilegien zu nehmen, wurde von exkommunistischen Medien und Abgeordneten als „Einführung der Kollektivschuld“ und „Verfolgung Andersdenkender“ abgeblockt. Der Mord an einem oppositionellen Studenten vor 15 Jahren kann nicht aufgeklärt werden, weil der Innenminister die Stasi-Akten nicht herausrückt.

In Tschechien wurde das kommunistische System pauschal für verbrecherisch erklärt. In Polen werden die Leiter des Innenministeriums, von dem aus in den 80er Jahren Morde und Überfälle auf Andersdenkende geplant wurden, freigesprochen. Nun sollen stalinistische Folterer und ihre Opfer gleichermaßen Veteranenrenten erhalten, und ein kommunistischer Meisterspion, in den USA immer noch auf den Fahndungslisten, wird von einem früher einmal antikommunistischen Innenminister als Geheimdienstchef forciert.

Aleksander Kwasniewski, Chef der exkommunistischen Sozialdemokraten, entschuldigte sich in seiner ersten Parlamentsrede bei der Opposition für die kommunistischen Verfolgungen der letzten vierzig Jahre. Doch im nächsten Satz verglich er sie mit den Entlassungen belasteter Funktionäre in den letzten vier Jahren der Solidarność-Regierungen. Heute bestimmt nicht mehr Michnik die Bedingungen der innenpolitischen Versöhnung, sondern Kwasniewski.

Für die Ex-Dissidenten Jacek Kuron und Adam Michnik ist diese Entwicklung ein politischer Erfolg. Das Bündnis zwischen den ehemaligen Antikommunisten und den ehemaligen Kommunisten ist näher denn je. Kuron wird bereits als Präsidentschaftskandidat gehandelt. Seine Chancen sind gestiegen, seit die einstigen Gegner Präsident Walesa gemeinsam zur Gefahr für Polens Demokratie erklärt haben. Seither bahnt sich in Polen an, was in Ungarn bereits Wirklichkeit ist: eine liberal-sozialistische Koalition früherer Dissidenten mit den Erben ihrer Verfolger. In dieses Bündnis zum Aufbau des neuen, westlichen Systems bringen die Dissidenten die demokratische Glaubwürdigkeit ein, die Exkommunisten liefern die Pfründe aus alten Zeiten in Staatsbetrieben, Banken und Bürokratie.

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