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BVB wird Deutschland

■ Nach Dortmunds 2:0 über Verfolger Bremen bringt sich Ottmar Hitzfeld raffiniert als Bundestrainer ins Gespräch

Dortmund (taz) – Keine flammenden Lettern verkünden hier unbändige Angriffslust, hemmungslose Sturmläufe und atemberaubende Offensive. Der Erfolg von Borussia Dortmund buchstabiert sich dieser Tage ganz anders: G.E.D.U.L.D. Dribblings werden nicht überhastet und keine Flanke wütend in den Strafraum geschlagen, selbst wenn die Abwehr so bedingungslos ist wie Otto Rehhagels Bremer am Sonntag abend. Lieber legt Andreas Möller den Ball nochmal zur Seite, bremst Stefan Reuter seine Flankenläufe und sucht Michael Zorc die Lücke an anderer Stelle. Irgendwann, das ist inzwischen in Dortmunds kollektivem Bewußtsein tief versenkt, wird der Moment kommen, in dem sich die Lücke auftut. Ganz bestimmt!

In der vierten Spielzeit läuft das Umerziehungsprogramm des Ottmar Hitzfeld nun bereits, und endlich hat er nicht nur die Mannschaft, sondern auch die Zuschauer soweit, daß sie ihm glauben. „Früher ist das Publikum schnell unruhig geworden“, erinnert der Trainer an vergangene Zeiten. Heutzutage hingegen ist die Geduld groß und die Stimmung auf den Rängen nicht abhängig von der Vehemenz des Angriffsschwungs und der Zahl der herausgespielten Torchancen. Irgendwann treffen die Borussen schließlich sowieso.

Wenn es allerdings 72 Minuten dauert, droht sogar Hitzfeld noch das Opfer der eigenen Ungeduld zu werden. Wollte er doch gerade zu jenem Zeitpunkt seinen eifrigen Defensivmann Steffen Freund durch den Stürmer Marc Arnold ersetzen, als eben jener Freund einen abgesprochenen Eckball zum 1:0 ins Bremer Tor drosch. Das war Glück, wie Hitzfeld gerne zugab, bestätigte aber seine Philosophie. Nichts überhasten und immer schön aufpassen, daß hinten keiner reingeht. „Schließlich gewinnt im allgemeinen die Mannschaft die Meisterschaft, die am wenigsten Tore kassiert, und nicht diejenige, die am häufigsten trifft“, sagt Hitzfeld.

Begeistert Beifall spenden mag man solchen Einsichten sicherlich nicht, aber wer will Hitzfeld zur Zeit widersprechen? Keine Mannschaft hat weniger Tore kassiert als seine (zehn), aber auch keine mehr geschossen (29). Und letztlich spielt bislang auch kein anderes Team so beständig gut wie die Borussia. Weil sich im Moment kein entschlossener Kontrahent den Dortmunder Titel-Ambitionen in den Weg zu stellen scheint, geht Hitzfeld höflich gleich von „zehn Konkurrenten bis einschließlich Frankfurt“ aus. Mehr Kasse als Klasse?

Wenn etwas Luft zu den Verfolgern ist, widmen sich – das kennen wir von den Bayern noch ganz gut – die Tabellenführer gern höheren Aufgaben. Und die stellt natürlich vornehmlich die Nationalmannschaft. „Im Fall von Häßler und Möller wäre es besser, wenn einer zu Hause bliebe“, teilte Ottmar Hitzfeld also ungewohnt forsch mit. Wer von beiden das sein sollte, wußte er auch gleich: „Möller ist zur Zeit der beste Offensivspieler in Deutschland.“ Der braucht allerdings, so gingen die Reflexionen des Borussen-Trainers weiter, einen Wasserträger, „so wie es früher Wimmer für Netzer war“. Wen wundert es, daß er sogar schon gefunden ist – beim BVB natürlich. „Steffen Freund klopft an die Tür der Nationalmannschaft“, hört Hitzfeld nämlich ganz deutlich.

Allein in der Liberofrage bleibt er einstweilen kulant: „Das muß Berti Vogts entscheiden.“ So zählen wir staunend zusammen: Möller, Sammer, Riedle und Reuter sind bereits im Nationalteam, Reinhardt und Zorc haben dort eine sicherlich reaktivierbare Vergangenheit. Dazu kommt Türklopfer Freund, und Torwart Klos trainiert bereits eifrig mit Toni Schumacher. Also: Dortmund für Deutschland! Allein die Integration von Julio Cesar und Stephane Chapuisat dürfte schwierig werden.

Christoph Biermann

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