Die Gretchenfrage der SPD

■ Letzte Chance für die Sozialdemokraten, Leo Kirch in die Schranken zu weisen

Für Leo Kirch geht es jetzt um die Wurst. Der geltende Rundfunkstaatsvertrag, auf dessen Basis sein Münchner Konzern Milliardenumsätze machen konnte, soll grundlegend novelliert werden. Kirchs PR-Abteilungen und Lobbyisten machen Überstunden ohne Ende. Denn wieder einmal stehen deutsche Politiker vor der Frage, ob der Medienkonzern der Kirch- Familie entflochten werden muß oder nicht. Genauer gesagt: Ob sich Leo Kirch entweder vom Münchner Spielfilmsender Pro 7 eindeutig distanzieren oder sich von Teilen seines lukrativen Filmgeschäftes trennen muß. Auf diesen Aspekt läßt sich die aktuelle, unnötig komplizierte Debatte um die Medien-Konzentrationskontrolle verkürzen (siehe taz vom 26. 10. 94).

Wenn sich morgen die Chefs der Länderstaatskanzleien treffen und über Medienpolitik beraten, dann haben die meisten von ihnen das SPD-Parteibuch in der Tasche und damit die einmalige Chance vor Augen, dem neuen Staatsvertrag ihren Stempel aufzudrücken. Doch das sieht nur auf den ersten Blick simpel aus. Zerrissen zwischen dem internationalen Wettbewerbsdruck und dem Wunsch, die entstandenen TV-Imperien effektiver zu kontrollieren, zerrieben zwischen Standortpolitik zugunsten der Privaten und Verfilzung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, kommt die Partei nicht auf einen gemeinsamen Nenner.

Paradebeispiel: Heide Simonis, SPD-Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein. „Ihre“ Kieler Landesmedienanstalt (ULR) stellte Pro 7 im Frühjahr eine Unbedenklichkeitsbescheinigung in Sachen Konzentration aus: Thomas Kirchs Sender Pro 7 agiere unabhängig von Vater Leos Medien- und Filmkonzern. Eine Entscheidung, die selbst bei Simonis auf Kopfschütteln stieß.

Seitdem ist es ihre Staatskanzlei, die eine Legalisierung des Kirch-Imperiums im künftigen Staatsvertrag zu bremsen versucht. Darauf liefe nämlich ein Modell zur „Konzentrationskontrolle“ hinaus, auf das sich ein große Koalition von Stoiber bis Rau offenbar geeinigt hat. Nach dem „Marktanteilsmodell“ darf ein Fernsehveranstalter künftig beliebig viele Sender besitzen, aber nur insgesamt bis zu 25 oder 30 Prozent Zuschauer erreichen dürfen. „Eine Sackgasse“, meint Heide Simonis' Rundfunkreferent Matthias Knothe, lieber sollte man die bisherige Regelung behalten.

In der Tat: Das Problem des bisher gültigen Rundfunkstaatsvertrages war nicht die Obergrenze der zulässigen Medienkonzentration, sondern die undurchschaubaren Verflechtungen, die der Kirch- Konzern ungehindert knüpfen konnte. Schaut man auf die Berechnungen, nach denen Kirch und Bertelsmann ihre Marktanteile selber angeben (siehe Graphik), dann wird deutlich, wie willkürlich sie sind. Je nach dem angewandten Einmaleins hat Kirchs Medienverbund entweder mit nur 6,5 Prozent die wenigsten oder mit 27,7 Prozent die meisten Zuschauer. Kirch selber will z.B. seinen Anteil an Sat.1 (Marktanteil 14,6 Prozent) nur mit 6,3 Prozent angerechnet wissen – weil er nicht 100, sondern nur 43 Prozent vom Gesellschafterkapital hält. Bertelsmann dagegen rechnet Sat.1 zu 100 Prozent Kirch als dem größten Gesellschafter zu und zählt auch Thomas Kirchs Sender Pro 7 zur Kirch- Gruppe (während sich die bescheidenen Bertelsmänner selbst bei nur 20,4 Prozent sehen).

Daß mit solchen Rechenspielereien der reale Einfluß längst nicht erfaßt wird, liegt auf der Hand. Denn in allen diesen Modellen sind die immens wichtigen Programzulieferungen und das Filmgeschäft von Leo Kirch nicht eingerechnet. Auch die Verflechtung mit Presseunternehmen (vor allem bei Kirch/Springer) fällt durch das Raster.

Das „Mediennutzungsmodell“, das diese Beteiligungen anteilig berücksichtigen würde, erscheint derzeit völlig chancenlos. Statt die große Lösung zu wagen und Medienkonzentration in allen Bereichen und Größenordnungen zu untersuchen, haben sich die Landespolitiker nämlich „Planungssicherheit für die Unternehmer“ als Ziel gesteckt. Sprich: SPD für Bertelsmann in Nordrhein-Westfalen, Union für Kirch.

Eine Große Koalition sucht lediglich nach einem Kompromiß, der die Sicherstellung der Medienvielfalt „handhabbar“ macht. Eben ein Schmusemodell à la Blauhelm-Einsatz. „Anstatt sich für das Marktanteilmodell zu entscheiden, wäre es viel ehrlicher, die Medienkontrolle ganz zu beenden“, kommentiert Matthias Knothe. „Aber ehrlich gesagt, haben wir auch noch keine bessere Lösung gefunden.“ Die Zeit dafür müssen sie sich noch nehmen. Denn der Rundfunkstaatsvertrag muß einstimmig verabschiedet werden. Und Heide Simonis würde, so prophezeit ihr Referent Knothe, „die Hand stocken“, wenn sie das Marktanteilsmodell unterschreiben müßte. Noch ist die Chance der SPD, dem Kirch-Imperium einen Riegel vorzuschieben, nicht ganz vorbei. Michael Stadik