■ Der Schriftsteller Stefan Heym und die Macht
: Prophet der Wahrheit

Als „Pöbel“ und „Spießer“ titulierte Stefan Heym vor fünf Jahren die DDR-Flüchtlinge, die eine primitive Vorstellung von der Demokratie hätten. Dabei ist die ganze Sache kinderleicht: Man braucht nur den richtigen Mann zu wählen. Stefan Heyms Wahl in den Bundestag ist, nach eigenem Bekunden, „ein sehr schönes Beispiel für die praktizierte Demokratie“. Mögen auch „ein paar falsche Leute“ für ihn gestimmt haben. Aber sie haben „den richtigen Mann gewählt“. Einen, der auch richtige Ziele hat. Die Fragen nach seinem politischen Programm läßt Stefan Heym nicht zu. Seine Ziele habe er zu Hause gelassen, antwortete Heym einer aufdringlichen Wählerin. Damit war selbstverständlich nicht das PDS-Programm gemeint, sondern seine Werkausgabe.

Wenn man Stefan Heym als „eitlen Greis“ (Bärbel Bohley) bezeichnet, kann er nur lachen. Und er hat recht. Eitelkeit ist eine unzureichende Erklärung des Phänomens Heym. Irrtümlicherweise hält man ihn für einen Romancier. In Wirklichkeit ist Heym aber Krieger. „Der Zweite Weltkrieg brachte die Entwicklung einer neuartigen Waffe: Ideen“, schieb Heym 1986 in „Reden an den Feind“. „Mit dieser Waffe umzugehen ... war, ich wußte es damals und sage es heute noch, etwas unerhört Aufregendes.“ Waffen sind eine Droge für richtige Männer. In der DDR setzt Heym seinen psychological warfare fort: „Um wirkungsvolle, dauerhafte Propaganda zu machen, muß man Wahrheit und Recht vertreten“, schreibt Heym 1954 in der Berliner Zeitung. „Wahrheit und Recht sind aber ... nicht mehr bei den Amerikanern.“ Bei den Amerikanern, sagt man ihm heute nach, hätte er auch nie eine literarische Karriere machen können. Da tut man ihm unrecht. Es ging Heym nämlich nicht um die schöngeistige Literatur, sondern um etwas viel wichtigeres: um die Position des prominenten Schriftstellers, der die Wahrheit erklärt und Recht spricht. Mit einem Wort: um die Macht.

Nur unter einem autoritären Regime wird der Schrifsteller zur höchsten ideologischen Instanz. „Im ganzen gesehen“, so Heym 1975 im New York Times Magazine, „gilt das Wort des Schriftstellers in sozialistischen Ländern mehr als das seines Kollegen im Westen.“ Die Generalsekretäre der Partei suchten einen Kompromiß mit den Generälen der Literatur. Nikita Chrustschow ermöglichte die Publikation der ersten Lagererzählung von Alexander Solschenizyn. Stefan Heym dankt in seinen Erinnerungen ausdrücklich Erich Honecker dafür, daß dieser sich höchstpersönlich für die Veröffentlichung des „König-David-Berichts“ einsetzte. Trotzdem hatten die Parteibosse offensichtlich den Literaten nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Hätte Honecker auf ihn gehört, dann gäbe es die DDR noch, meinte Heym denn auch.

Solschenizyns Koalition mit den angeblichen Reformkommunisten hielt nicht lange. Der überzeugte Sozialist Heym dagegen war viel flexibler. Es war sicherlich unerhört aufregend, die Politik der Partei zu beeinflussen und die herrschende Ideologie mitzugestalten. „Das Leben in der DDR“, resümiert Heym, „hat seine guten Seiten für den Schriftsteller, auch wenn er gelegentlich Streit hat mit den Machthabern des Landes“ (NYT-Magazin).

Zuerst schien der gesellschaftliche Umbruch in Osteuropa die Sternstunde der Schriftsteller zu sein. Fast überall gingen sie in die Offensive. Jahrzehntelang erteilten sie die Lehre, „in der Wahrheit zu leben“. So formulierten Václav Havel und Alexander Solschenizyn einstimmig das Erlösungsrezept. Es ist bemerkenswert, daß hinter ihren fundamentalistischen Wahrheitsansprüchen unterschiedliche Ideologien steckten. Gemeinsam war ihnen die Illusion, die Utopien in die Realität umsetzen zu können.

1989 rief Stefan Heym die Hunderttausenden auf dem Alexanderplatz zum „besseren Sozialismus“ auf. Doch damit klappte es wieder nicht. Fünf Jahre lang mußte Heym dann – ähnlich wie Solschenizyn im Exil – politischen Einfluß einbüßen. Jetzt ist seine Stunde gekommen. Stefan Heym zieht wieder in den Krieg. Zusammen mit der PDS will er die „Ungerechtigkeit gegen den Osten“ bekämpfen. Heym versicherte, daß „mit mir im Bundestag von Deutschland nie wieder Krieg ausgeht“. Vielleicht, weil es sich ohnehin im „bürgerkriegsähnlichen Zustand“ befinde und die „Bonner Politiker die Vorhut einer neuen Besatzungsarmee“ seien. Schon wieder kommt das Licht vom Osten, „ex oriente“, wie ein Wahlslogan der PDS lautete.

Ganz offensichtlich genießt Stefan Heym seine wiedererrungene Machtposition. Während der Wahlveranstaltungen stand seine sozialistische Gemeinde Schlange, um von ihm die Absolution zu erhalten. Und die erteilt er gerne. Über seine Fraktionsgenossin Kaiser-Nicht, die wegen Stasimitarbeit ihr Mandat niederlegen mußte, sagte er, sie solle noch vier Jahre für ihre Schuld büßen. „In vier Jahren“, so der sozialistische Papst, „werde ich vielleicht sagen: Bitte sehr, Frau Kaiser, es geht schon in Ordnung.“

Nur auf den ersten Blick ist es paradox, daß sich die SED-Nachfolgepartei an Heym wendet und daß dieser das Angebot annimmt. Es ist die Fortsetzung einer langjährigen Beziehung. Sie helfen sich gegenseitig, ihre Identitäten zu erhalten: die DDR-Biographien und die paternalistische Identität des Großen Schriftstellers. Für seine politischen Dienste belohnt die PDS Heym mit einer Illusion. Sie simuliert die Wiederherstellung des politischen Systems, wo der Schriftsteller ein Prophet der Wahrheit war.

Diese lautere Wahrheit will Stefan Heym dem Bundestag nahebringen. Seine Eröffnungsrede werde ganz unterhaltsam sein, verspricht er. Und wohl auch politisch korrekt. Nur: die Wirkung all dieser richtigen Worte wird gleich Null sein. In der modernen Demokratie sind Worte keine Waffe mehr – im Gegensatz zu Eröffnungsreden auf jenen Parteikongressen, die die herrschende Ideologie über Jahre prägten. Sogar das russische Parlament, in dem Solschenizyn neulich eine Rede hielt, ist kein solcher Parteitag mehr, obwohl dort in erster Linie ehemalige Kommunisten sitzen. Sie ließen mit respektvoller Nonchalance Solschenizyns Blitz und Donner über sich ergehen – als hätten sie Helmut Kohls Empfehlung befolgt, auf Heyms Rede mit Gelassenheit zu reagieren.

Von der komplizierten und oft zynischen Maschinerie der parlamentarischen Demokratie wollen Schriftsteller wie Heym nichts wissen. Um da etwas zu verändern, muß man argumentieren und Lobbyismus betreiben, und nicht, wie zu seligen DDR-Zeiten, propagieren. Stefan Heyms Glauben an die (wahrhaftige) Macht, die „richtige Männer“ ausüben, ist historisch überholt und primitiv. Die real existente Demokratie ist auf jeden Fall besser als der real existierende Sozialismus. Besser für den „Pöbel“ – bis auf den Großen Schriftsteller. Für dessen Machtansprüche gibt es in der pluralistischen Gesellschaft keinen Platz. Auch wenn er einen Sitz im Parlament hat. Boris Schumatsky

Politologe, lebt in Moskau und Berlin