Angst vor dem „schwarzen Dienstag"

Bei den heutigen Wahlen in den USA wird eine geringe Beteiligung erwartet / Viele Schwarze werden zu Hause bleiben / Kopf-an-Kopf-Rennen in mehreren Bundesstaaten  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Im Weißen Haus in Washington befürchtet man einen „schwarzen Dienstag“; in den Wahlkampfquartieren der „Republikaner“ ist in Aussicht auf eine republikanische Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus der Sekt schon kaltgestellt; in Gouverneurs-, Kongreß- oder Bürgermeisterrennen im ganzen Land werden frenetisch die letzten Anzeigen im Fernsehen geschaltet, um den Gegner als verlogen, liberal, rassistisch, promiskuitiv, als Verschwender von Steuergeldern und/oder Verhätschler von Kriminellen darzustellen.

Was die Nation so beschäftigt

Es irrt allerdings, wer glaubt, dieser Prozeß der demokratischen Willensbildung beschäftige die amerikanischen Wähler ebenso wie die Politiker. Zwar stehen alle 435 Sitze des US-Repräsentantenhauses, ein Drittel des Senats, 36 Gouverneursämter sowie zahlreiche Posten in den Bundesstaaten, Gemeinden und Städten zur Wahl an. Doch die größte Sorge der Kandidaten besteht darin, das Volk überhaupt zum Gang an die Urne zu bewegen.

Weit mehr als der Wahlkampf erschüttern das Land andere Dramen: zum Beispiel das einer 23jährigen Mutter aus Union, South Carolina, die vor den Kameras des ganzen Landes neun Tage lang an den angeblichen Entführer ihrer beiden kleinen Söhne appellierte, das Leben ihrer Kinder zu schonen. Letzte Woche gestand sie, die Kinder in einem See ertränkt zu haben. Selbst Präsident Bill Clinton fühlte sich vom Wahlkampfpodest aus bemüßigt, dazu Stellung zu nehmen.

Die Wahlbeteiligung in den USA, die sich bei Präsidentschaftswahlen etwa bei der 50-Prozent- Marke eingependelt hat, liegt bei den „midterm elections“ noch niedriger. 49 Prozent der als Wähler registrierten Weißen und nur 39 Prozent der Schwarzen gaben 1990 ihre Stimme ab. Letztere werden laut Prognose der Demoskopen heute in noch größeren Zahlen zu Hause bleiben. Sie fühlen sich von republikanischen Kandidaten attackiert, von den Demokraten ignoriert – und von Bill Clinton enttäuscht. Der muß nun darauf hoffen, daß es dem ungeliebten Parteifreund Jesse Jackson gelingt, doch noch möglichst viele Afroamerikaner zum Wahlgang zu motivieren. Denn ihre Stimmen könnten in vielen Rennen den Ausschlag für den demokratischen Kandidaten geben. Für 1996 trägt sich Jackson allerdings mit dem Gedanken, selbst gegen Bill Clinton anzutreten – möglicherweise mit einer eigenen Partei.

Dabei haben die Demokraten in der letzten Woche einigen Boden gutgemacht. Aushängeschilder der Partei wie etwa Mario Cuomo, Gouverneur von New York, und Edward Kennedy, Senator aus Massachussetts, haben sich laut Meinungsumfragen einen Vorsprung vor ihren republikanischen Herausforderern erkämpft. US- Präsident Bill Clinton hat nach seinem Auftritt auf internationaler Bühne im Nahen Osten wieder soviel Popularität hinzugewonnen, daß er zumindest im Norden der USA wieder gerngesehener Wahlkampfhelfer für demokratische Kandidaten ist.

Im Süden läßt sich Clinton nicht blicken

Südlich der „Mason-Dixon-Line“, der alten Grenze zwischen den Nord- und Südstaaten, läßt sich Clinton aber wohlweislich nicht blicken. Dort hat sich Floridas demokratischer Gouverneur Lawton Chiles laut Meinungsumfragen einen knappen Vorsprung gegenüber seinem Kontrahenten Jeb Bush, Sohn Nummer zwei des Ex- Präsidenten, erkämpft. Hier wird es ebenso wie in Texas, wo George W. Bush, Sohn Nummer eins des Ex-Präsidenten, Gouverneurin Ann Richards ablösen möchte, ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben. In beiden Wahlkämpfen lieferte man sich einen makabren Schlagabtausch darüber, wer Todesurteile zügiger zur Vollstreckung bringen wird.

Um die Auszeichnung für schlammigste und bizarrste Rennen konkurrieren allerdings die Senatsanwärter in den Bundesstaaten Virginia und Kalifornien. In Virginia liefert eine der Hauptfiguren des Iran-Contra-Skandals, Oliver North, mit einem Programm und Spenden aus dem christlich-rechten Lager, dem Demokratischen Amtsinhaber, Chuck Robb, ein erbittertes Rennen, in dem er Robb außerehelichen Sex, Clinton-Loyalität und Kokainparties vorwirft. In Kalifornien werden dieses Jahr sämtliche Finanzrekorde gebrochen. Dort hat der Republikaner Michael Huffington, Sohn eines Ölmillionärs, bereits 28 Millionen Dollar seines Privatvermögens von 70 Millionen Dollar in TV-Spots investiert, die seine Gegnerin, die Demokratische Senatorin Dianne Feinstein, als machtbesessene, auf Privilegien fixierte Amtsinhaberin darstellen. Feinstein, selbst mehrfache Millionärin, hat inzwischen acht Millionen Dollar in ihren Wahlkampf gesteckt – und eine Hypothek auf ihr Haus aufgenommen.