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Keine Herrschaft auf Lebenszeit

Entwurf der neuen Verfassung Albaniens findet bei einer Volksabstimmung keine Mehrheit / Präsident Sali Berisha zeigt sich enttäuscht, sozialistische Opposition sieht sich als Siegerin  ■ Von Karl Gersuny

Wien (taz) – Albaniens selbstherrlicher Präsident Sali Berisha steckte am Wochenende eine schwere politische Niederlage ein: Glaubt man ersten Hochrechnungen, so lehnten am Sonntag etwa 60 Prozent der Abstimmenden den Entwurf für eine neue demokratische Verfassung ab. Obwohl das staatlich kontrollierte Fernsehen in den vergangenen Wochen nur Befürworter des umstrittenen Entwurfes zu Wort kommen ließ und sich Berisha mit dramatischen Appellen für die neue Verfassung über die elektronischen Medien an das Volk wandte, verweigerten die Bürger dem Präsidenten die Gefolgschaft. Über Mundpropaganda und unzählige kleine Oppositionszeitungen verbreitete sich im Lande das Gerücht, Berisha wolle mit einer neuen Verfassung seine Herrschaft auf Lebzeiten absichern.

Wenngleich dies weit übertrieben ist, so sind einige Stellen im Entwurf höchst problematisch. Vor allem in Krisensituationen kann der Präsident ohne Parlamentsmehrheit wichtige Entscheidungen zu Fragen der Landesverteidigung und dem Einsatz paramilitärischer Polizeieinheiten bis hin zur Ausrufung des Ausnahmezustandes zu treffen. Auch die Möglichkeit, die Pressefreiheit einzuschränken, liegt im persönlichen Interesse des Präsidenten. Trotz dieser einschneidenden Mängel hatte Berisha von den westeuropäischen Staaten die Zusicherung erhalten, daß bei Inkrafttreten der neuen Verfassung Albanien in den Europarat aufgenommen werde. In den westlichen Hauptstädten argumentierte man, diese neue Rechtsgrundlange sei noch immer besser als die jetzt bestehende aus kommunistischer Zeit, in der Bürgerrechte keine Erwähnung finden, die Freizügigkeit eingeschränkt wird und auch die Todesstrafe festgeschrieben ist. Die Opposition, allen voran die ex-kommunistische Sozialistische Partei, stemmten sich dennoch gegen Berisha. Jene Teile, die die Bürgerrechte neu regeln sollten, seien zu begrüßen, jedoch nicht jene Stellen, die das Parlament von wichtigen Entscheidungen ausschließt.

Durch das Referendum wollte Berisha das aufmüpfige Parlament umgehen, doch er hat sich verrechnet: Auch die Bevölkerung scheint von den Machtambitionen und der Cliquenwirtschaft des Präsidenten genug zu haben. In den vergangenen Monaten stiegen immer neue Familienmitglieder der Berisha- Sippe in höchste Regierungsämter und Militärpositionen auf. Ehemalige Dissidenten und Reformer der demokratischen Wende von 1990 verloren dagegen ebenso ihre Posten wie linke und rechte Kritiker sowie Repräsentanten der über 100.000 Menschen zählenden griechischen Minderheit.

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