Völkermörder kommen vor Gericht

■ Kriegsverbrecherprozeß wegen Bosnien beginnt / Deutschland will ausliefern, kann aber nicht

Genf/Den Haag (taz/epd/dpa) – Heute beginnt der erste internationale Kriegsverbrecherprozeß seit den Prozessen von Nürnberg im Jahre 1946. Richard Goldstone, Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, hat sein Versprechen wahr gemacht. Die Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien müssen schnell aufgeklärt werden, hatte der südafrikanische Jurist vor knapp vier Monaten gesagt. Goldstone sorgt nun tatsächlich dafür, daß die Anklagebänke nicht länger leer bleiben. Heute wird das UNO- Sondergericht in der niederländischen Hauptstadt erstmals tagen: Eine dreiköpfige Richterkammer des Tribunals wird über den Antrag Goldstones beraten, der Deutschland um die Auslieferung des im Februar verhafteten Serben Dušan Tadić ersuchen will.

Dutzende von Zeugen werfen Tadić schlimmste Quälereien vor allem in dem berüchtigten Lager Omarska vor. 5.000 Menschen sollen dort ums Leben gekommen seien. Tadić soll Gefangene gezwungen haben, Mithäftlingen die Hoden abzubeißen. Einem anderen Gefangenen soll er Hufeisen an die Füße genagelt haben. Doch das sind nur Einzelfälle innerhalb des großen Verbrechens der systematischen Ermordung und Vertreibung von bosnischen Muslimen in Tadićs Heimatbezirk Prijedor. Für Goldstone ist Tadić vor allem ein Instrument, um an die übergeordneten Täter zu gelangen.

Der taz sagte der südafrikanische Jurist, daß er „unabhängig von Positionen“ auch gegen höchste politische und militärische Führer in Ex-Jugoslawien ermittelt. An „eine Amnestie oder an politische Vereinbarungen“ zur Erleichterung von Friedensregelungen in Bosnien oder Kroatien, so Goldstone in unserem Interview, sei das Tribunal „nicht gebunden“. Kurz nach Etablierung des Tribunals hatte die damalige US-Regierung öffentlich eine Verurteilung des serbischen Präsidenten, Slobodan Milošević, des bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić sowie dessen obersten General Ratko Mladić wegen Kriegsverbrechen gefordert.

Zur Frage nach eventuellen Verfahren gegen diese und andere politische und militärische Führer erklärt Goldstone: „Wenn wir Beweise erhalten, dann werden wir anklagen.“ „Derzeit“ bemühe sich das Tribunal um die „Sammlung von Indizien für Befehlsketten und übergeordnete Verantwortlichkeiten“. Im Fall Tadić hofft Goldstone eine Befehlskette zumindest bis in Karadžićs Hauptquartier in Pale nachweisen zu können. Damit er vorgesetzte Befehlsgeber belastet, soll Tadić in Den Haag möglicherweise eine Kronzeugenregelung angeboten werden. Das wäre vor einem deutschen Gericht nicht möglich.

Für die Arbeit des Tribunals haben UNO und Einzelregierungen noch immer viel zu wenig Geld bereitgestellt. Intern hat Goldstone mit seinem Rücktritt gedroht, wenn das Tribunal 1995 nicht die Mittel für 50 zusätzliche Ermittlungsbeamte erhält.

Die große Frage ist nun, ob Deutschland Tadić ausliefert. Trotz des Den Haager Ersuchens hat die Bundesanwaltschaft gestern Anklage gegen Tadić erhoben. Die Behörde ermittelt gegen Tadić wegen Beihilfe zum Völkermord, Mord und gefährlicher Körperverletzung. Oberstaatsanwalt Rolf Hannich wies aber ausdrücklich darauf hin, daß dies „keinen Querschuß gegen das UN-Kriegsverbrechertribunal“ bedeute. Nach Angaben des Bundesjustizministeriums fehlt es noch an einer Rechtsgrundlage für die Auslieferung. Das Bundeskabinett habe zwar kürzlich einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet, dieser müsse jedoch noch Bundestag und Bundesrat passieren. Mit seiner Verabschiedung sei erst im Laufe des kommenden Jahres zu rechnen.

Andreas Zumach Tagesthema Seite 3