Taiga-Hollywood

■ Grandioses Konzert mit Mikhail Pletnev

Manche behaupten: Er ist ein Streber, der russische Pianist und Dirigent Mikhail Pletnev, ein aalglatter Ehrgeizling, der das Russische Nationalorchester Moskau mit westlichen Sponsorengeldern aus den besten Musikern aller sowjetischen Spitzenorchester zusammengekauft hat. Was da am Dienstagabend in der Musikhalle auf der Bühne Platz nahm, wäre ergo nichts anderes als die gesammelte Käuflichkeit des ehemaligen Welthorts der Werktätigen. An alldem ist kaum etwas falsch; schlichter Alltag eben in der freien Marktwirtschaft, Abteilung Klassik.

Dann aber legt dieses Orchester los. In Beethovens Egmont-Ouvertüre hört man vom ersten Akkord weg kompakt nervige Tutti, herrlich dosierte Crescendi, eine Horngruppe, für die es nur präzis forcierte Einsätze zu geben scheint. Gleichwohl dirigiert Pletnev wie ein gebremster Tiger. Erst beim Ausbruch des letzten Themas läßt er das Orchester beethovengemäß von der Kette.

Mit halbiertem Set dann das Klavierkonzert Nr. 2 vom selben Komponisten. Pletnev dirigiert vom Klavier aus. Die Rechte gibt Melodien, die Linke Einsätze. Unglaublich perfekt und intelligent die Koordination der Hände, gestochen scharf, zugleich jederzeit modulierfähig und mühelos der Anschlag, geradezu arrogant die Leichtigkeit, mit der er, noch bei rasantesten Tempi, bis ins Detail gestaltet. All das ist kalter Mechanik zum Verwechseln ähnlich, aber im Andante empfindsam gemacht.

Nach der Pause erweist sich Rachmaninows Sinfonie Nr. 2 op. 27 über weite Strecken als Soundtrack zu einem Schinken, der nie gedreht wurde, den Pletnev und sein Orchester aber schmackhaft anzurichten wissen: Sehr slawisch und ein bißchen süßlich, so als habe Hollywood nie woanders gelegen als in den Weiten der russischen Seele. Freilich, auch enorme Stackati, scharf fugierte Stellen gibt es da, und dieses Orchester bewältigt sie alle, souverän und inspiriert. Mag man über diese Leute denken wie man will – sie sind großartig, es macht Spaß, ihnen zuzuhören.

Stefan Siegert