Die Opfer mißtrauen den Richtern

■ UNO-Sicherheitsrat beschließt Einrichtung eines Ruanda-Völkermordtribunals - gegen die Stimme Ruandas / Wochenlanger Streit um Resolution und ruandische Skepsis gegenüber UNO und Frankreich

Berlin/New York (taz/AFP/ epd) – Der UN-Sicherheitsrat hat am Dienstag abend die Einrichtung eines internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ruanda beschlossen – viereinhalb Monate nachdem in der UNO-Menschenrechtskommission die erste entsprechende Forderung laut wurde. Aber Ruanda selbst, wo heute die Opfer des Völkermords regieren, stimmte als einziges Sicherheitsratsmitglied dagegen.

Zwischen 500.000 und einer Million Menschen fielen ab April 1994 den Milizen des damaligen ruandischen Regimes zum Opfer. Die Massaker endeten erst Anfang Juli mit dem Sieg der Guerillabewegung Ruandische Patriotische Front (RPF) und der Flucht des alten Regimes nach Zaire. Nach den Worten der Resolution 955 soll das Tribunal nun jene Ruander aburteilen, die zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 1994 in Ruanda oder den Nachbarländern „Völkermord“ oder schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Leiter des Tribunals wird der Südafrikaner Richard Goldstone, der bereits die Jugoslawien-Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag führt.

Ruanda traut dem UNO-Beschluß überhaupt nicht. Man werde mit dem Tribunal nur zusammenarbeiten, wenn es seine Effizienz beweise, erklärte gestern Justizminister Alphonse Marie Nkubito. Das Tribunal dürfe nicht das alleinige Recht zur Verfolgung jener geschätzten 7.000 Personen erhalten, die unter Anklage kommen müßten. Sonst werde die Strafverfolgung behindert.

Luxusknäste für Massenmörder?

Im Sicherheitsrat kritisierte der Vertreter Ruandas, daß das Tribunal keine Todesstrafen verhängen darf. Da ruandische Gerichte durchaus die Todesstrafe verhängen können, müßten in Ruanda angeklagte Täter schwerere Strafen erwarten als vor dem Tribunal stehende Drahtzieher. RPF-Führer Paul Kagame kritisierte, ein in Europa tagendes Tribunal werde Abgeurteilte in europäische Luxusgefängnisse stecken.

Nicht nur diese Details begründen jedoch Ruandas Skepsis, sondern vor allem der Kuhhandel, der der Verabschiedung vorausging. Einen Resolutionsentwurf, vorgelegt von den USA, Großbritannien und Neuseeland, gibt es schon seit dem 16. Oktober. Darin stand zunächst nur, daß das Tribunal sich mit nach dem 1. Januar 1994 begangenen Verbrechen beschäftigen sollte. Daraufhin schlug Frankreich – Hauptverbündeter des für den Völkermord verantwortlichen ruandischen Ex-Regimes – vor, ausdrücklich den 31. Dezember als Schlußdatum zu nennen, um auch von der neuen RPF- Regierung begangene Verbrechen einzuschließen. „Die französische Regierung will die Sichtweise fördern, daß es in Ruanda zwei Völkermorde gegeben habe“, kritisierte Sharon Courtoux von der französischen Organisation „Survie“, die die Pariser Afrikapolitik beobachtet. „Dann kann Frankreich sagen: Ihr könnt uns nicht dafür kritisieren, die Hutu-Extremisten zu unterstützen, denn beide Seiten sind gleich schlecht.“ Ruandas neue Regierung forderte daraufhin ihrerseits, als Schlußdatum die RPF-Machtergreifung Anfang Juli 1994 festzuhalten, als Anfangsdatum aber den 1. Oktober 1990, als der ruandische Bürgerkrieg begann. Außerdem sollten nur Akte des Völkermordes, nicht aber andere Kriegsverbrechen Objekt des Tribunals sein. Damit wäre die Strafverfolgung auf das frühere Regime beschränkt.

In der nun verabschiedeten Resolution hat sich Frankreich in den meisten Punkten durchgesetzt. Kagames Reaktion: „Nicht nur Ruander waren Komplizen des Völkermordes. Eines Tages werden wir die Franzosen beschuldigen müssen, am Völkermord beteiligt gewesen zu sein.“

Wie die gesuchten Verantwortlichen vor Gericht gebracht werden sollen, weiß niemand. Sie halten sich zumeist mit ihren Waffen in den Flüchtlingslagern im zairischen Goma auf. Inzwischen sind sie in den Lagern so mächtig, daß letzte Woche 16 Hilfsorganisationen kollektiv mit dem Abzug drohten. UNO-Generalsekretär Butros Ghali will heute dem UN-Sicherheitsrat Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit in Goma unterbreiten; ein Vorschlag sieht die Entsendung von 4.800 Blauhelmsoldaten vor. Auch in Goma besteht gegenüber Frankreich Mißtrauen: Der britische Independent on Sunday schrieb am Wochenende, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Goma hätten berichtet, daß die ruandischen Milizionäre nach wie vor militärisch von Franzosen ausgebildet würden.

D.J.