Steine des Denkanstoßes

■ Reichspogromnacht: Erinnerung an die Ermordeten

Berlin (taz) – Wie reißt man den Holocaust aus seiner namenlosen Unfaßbarkeit? Indem man jedem Ermordeten seinen Namen zurückgibt und damit wenigstens ein winziges Stück seiner Menschenwürde. Dieser Gedanke liegt dem „Denkmalprozeß“ zugrunde, den der Kasseler Künstler Horst Hoheisel vor fünf Jahren in seiner Heimatstadt anstieß und der gestern in Berlin weitergeführt wurde.

Die Steine ins Rollen brachte Hoheisel 1989: Zur Gestaltung des ehemaligen Gestapogeländes in Berlin schlug er vor, daß Menschen an allen Orten der Deportation in Europa einen Stein aufheben und dort niederlegen sollten, damit über Jahre ein Kegel aus Millionen Steinen wachse. Dieses „demokratische Denkmal“ hatte damals in Berlin keine Realisierungschance, aber auf kleinerer Ebene in Kassel. Inzwischen steht auf dem Bahnsteig 3 des Hauptbahnhofes ein Denkmal aus 1.007 Steinen, die Kasseler BürgerInnen im Laufe der Zeit jeweils mit den Namen und den biographischen Daten der Ermordeten versehen und dorthin gebracht hatten. „Da hat nicht ein Künstler etwas Großes geschaffen, sondern tausend Menschen haben eine kleine Geste der Trauer getan“, kommentiert Hoheisel seine Idee. „Ich glaube, da steckt mehr ,Denkmalsenergie‘ drin als in einem großen Monolithen.“

Gestern wurde seine Denksteinsammlung in Berlin fortgeführt: Unterstützt von der „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ und begleitet vom Gesang des jüdischen Oberkantors Estrongo Nachama in der evangelischen Kirche „zum Heilsbronnen“, stifteten SchülerInnen der Paul-Natorp-Oberschule Steine für die ermordeten Juden und Jüdinnen des Bezirks Schöneberg. Allein aus dem angrenzenden Nachbarhaus waren 79 Menschen deportiert worden. Parallel dazu werden seit gestern auch im „Haus der Wannseekonferenz“ und in Schulen und Kirchen Neuköllns Steine gesammelt, weitere Bezirke werden folgen. Ute Scheub