Wenn nicht, können die uns mal

With a little help from MTV: Led Zeppelin sind (fast) wieder beieinander. Machen jetzt Ethno-Blues  ■ Von Karl Wegmann

Der Drogentod gehört zum Berufsbild des Rockstars. Und wenn es dann passiert ist, wird meist schnell klar, daß der Star alles, die Band nichts war – siehe Jim Morrison und die Doors.

Bei Led Zeppelin war das immer schon anders. Das Superstar- Modell: Jeder in der Band hatte seine unersetzbare Position. Als Drummer John „Bonzo“ Bonham im September 1980 nach dem Genuß von 40 großen Brandies an seinem Erbrochenen erstickte, lösten die drei Überlebenden die Gruppe konsequenterweise sofort auf. Bonzo war das Rückgrat von Led Zeppelin gewesen, die Basis, auf der jeder Song aufbaute und in den Siebzigern der aggressivste Schlagzeuger im Rockzirkus, der erste, der seine Bassdrum mit Aluminium auskleidete, um einen Kanonendonner-Effekt zu erzeugen. „Es ist ja ganz nett, wenn man einen dreifachen Paradiddle spielen kann“, erzählte er einem Kritiker, „aber wer achtet schon darauf?“

Bonzo war nicht zu ersetzen. Sänger Robert Plant startete eine erfolgreiche Solokarriere, Gitarrist Jimmy Page versuchte es auch, rutschte aber zunächt in eine Heroinsucht ab, und Bassist/Keyboarder John Paul Jones wurde Komponist und ein gefragter Produzent.

Trotzdem hörten die Gerüchte um eine Reunion nie auf, war da die Sehnsucht, die verbliebenen Einzelgrößen erneut zur Supergruppe aufzusummieren: etwa nach dem 1985er Konzert zum vierzigjährigen Jubiläum von Atlantic, mit John Bonhams Sohn Jason am Schlagzeug; oder als 1990 das Box-Set mit den digital remasterten Songs der Gruppe veröffentlicht wurde. Und immer sprachen die Gerüchte auch von viel, viel Geld: zwischen 50 und 170 Millionen Dollar für eine einzige Amerika-Tour. Hat es also damit zu tun, daß Mitte des Jahres gemunkelt wurden, Page und Plant, einander zwischenzeitlich spinnefeind, arbeiteten an einer neuen Platte? Oder eher an der Bruchlandung des Ex-Supergitarristen Page, der zusamen mit Näselsänger David Coverdale (Ex-Deep- Purple und Whitesnake) nur noch blasse Kopien zustandebrachte?

Ausgerechnt MTV brachte den Stein ins Rollen. Die cleveren Musikfernsehmacher ließen anfragen, wie es denn mit einem Page/Plant- Unplugged-Konzert wäre und bekamen ein überraschendes „Warum nicht?“ zu hören. Der „Unledded“ genannte Film wurde am 12. Oktober in den USA, danach am 17. Oktober in Europa auf MTV ausgestrahlt – und bescherte dem Sender neue Zuschauerrekorde.

Die Platte zum Film kam am vergangenen Montag heraus. „No Quarter“ ist nicht mehr Heavy- Rock. Der neue Weg heißt Ethno- Blues oder World Music. „Wir wollten nicht Led Zeppelin in ihrer bekannten Art wiedererschaffen“, erklärt Robert Plant, „es sollte etwas Neues sein. Dazu mußten wir uns ein wenig anstrengen, denn was sollten wir die Stoßseufzer unseres Alters aufnehmen, die wir am Kaffeetisch von uns geben?“

Nun, Stoßseufzer sind es bestimmt nicht geworden, die die beiden da mit Hilfe von arabischen Streicher- und Percussion-Ensembles, walisischen Folkmusikern und dem London Metropolitan Orchestra aufgenommen haben. Doch so ganz scheint das Selbstbewußtsein des Songschreiber-Duos noch nicht wieder hergestellt zu sein. Nur vier neue Stücke finden sich auf „No Quarter“, die restlichen zehn sind Zep-Klassiker in neuen Gewändern.

Und das Ethno-Blues-Arrangement bekommt den alten Stücken gar nicht schlecht, Lieder wie „Since I've Been Loving You“, „The Battle Of Evermore“ oder „Gallows Pole“ klingen überraschend frisch. Genauso wie Robert Plants Stimme, die einst „einem 13jährigen Jungen seinen ersten Orgasmus verschaffen konnte“ (so die französische Libération). Mit dem neuen „City Don't Cry“ könnten sie sogar (mit ein wenig Unterstützung von MTV) einen Hit landen.

Ja und dann natürlich „Kashmir“. Tausende von Zeppelin- Fans dürften der Meinung sein, daß sie von „Kashmir“ besser die Finger gelassen hätten. „Kashmir“ vom 1975er Album „Physical Graffiti“ erzählt in einem wunderschön dahinrollenden Rhythmus die Geschichte einer Reise, die Plant durch die Wüsten im Süden Marokkos machte. Schon damals waren arabische Anklänge zu hören, jetzt, in der neuen Version, wird die bekannte Melodie immer wieder unterbrochen von Trommeln, Flöten und anderen arabischen Instrumenten. Nach mehrmaligem Hören wird man das Gefühl nicht los, daß das genau die Interpretation ist, die Plant, der arabische Musik sehr schätzt, schon immer vorschwebte, die aber 1975 einfach zu bizarr geklungen hätte. „Die Fans kennen unsere Vielfalt“, meint Plant dazu, „diese Platte könnte ihnen gefallen. Wenn nicht, können sie uns mal.“

Diese Einstellung kann sich Plant natürlich leisten. Schon 1980, am Ende der Zep-Ära, hatten die Musiker alles erreicht, was es im Rock 'n' Roll zu erreichen gibt. Fi

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nanzielle Anreize spielten für sie schon längst keine Rolle mehr. Als 1969 „Led Zeppelin II“ herauskam und „Abbey Road“, das neueste Album der Beatles, von Platz eins der LP-Charts verdrängte, begann für die Hardrocker ein kometenhafter Aufstieg. In den frühen Tagen hatte Peter Grant, der gerissene Manager der Band, die Gesamtgagen für jede Tour noch öffentlich bekanntgegeben. Der Financial Times offenbarte er zum Beispiel, daß die Band 1973 rund dreißig Millionen Dollar einnehmen werde. Nach 1973, als die Rock-Moneymaker anfingen, 200.000 Dollar und mehr für einen einzigen Auftritt zu kassieren, wahrte Grant eisernes Schweigen über die Vermögenslage seiner Schützlinge. Ihre zehn Studio-LPs, alle mehrfach mit Platin ausgezeichnet, gingen allein in den USA über 45millionenmal über den Ladentisch. Nur die Beatles haben bis heute mehr Platten verkauft. Bei diesen Zahlen wirkt das alte Jim- Morrison-Geständnis „Ich wollte eine Rockband gründen und eine Million Dollar verdienen“ geradezu naiv.

Der schnelle kommerzielle Erfolg bewirkte, daß Led Zeppelin absolute künstlerische Freiheit genossen. So konnten sie sich daran machen, das Vokabular der Rockmusik neu zusammenzusetzen. Schon ihr Angriff auf den Blues- Standard „Baby I'm Gonna Leave You“ zeigte an, wohin die Reise gehen sollte. „Ich wollte den Song heavy spielen“, erzählte Page später, „aber mit Licht und Schatten.“ Über ein Jahrzehnt lang erkundeten sie fast jeden Weg, den eine klassische Vier-Mann-Rockformation gehen kann und einige neue. „Das Besondere an Led Zeppelin war, daß es keine Grenzen gab“, sagt John Paul Jones heute. „Wir hatten die Freiheit, alles auszuprobieren, mit allem zu experimentieren. Wir alle hatten eigene Ideen, und wir arbeiteten mit allem, was uns in die Finger kam, ob es nun Folk, Country, Blues, indische oder arabische Musik war. All diese Bands, die heute Led Zeppelin kopieren, haben das nicht kapiert, und deshalb bleiben sie Abziehbilder. Keine von ihnen kommt an uns ran.“

Nachahmerbands gab es massenhaft, und Jimmy-Page-Riffs hört man bis heute auf neuen Metal- und Hardrock-CDs. Viele junge Bands bekennen sich zu ihren Zeppelin-Wurzeln. Für Kurt Cobain war „Led Zeppelin II“ das „beste Rockalbum aller Zeiten“, und Steve Shelley, Schlagzeuger von Sonic Youth, empfiehlt den Fans seiner Band: „Am besten, ihr schmeißt alle CDs von uns weg und kauft euch dafür Led-Zeppelin- Platten.“

Angesichts dieser Verbeugungen muß man wirklich dankbar sein, daß der „Lemon Song“ nicht auf der neuen Platte ist. Ein 48jähriger Robert Plant, der „Squeeze me, baby, till the juice runs down my leg“ kreischt, das wäre dann doch ein bißchen peinlich gewesen.

No Quarter: Jimmy Page & Robert Plant Unledded (Phonogram).