■ Die Bonner Politik und die PDS
: Es darf, es muß Kommunisten geben!

Es fällt mir schwer, die Gründe für die Hysterie und die Aufregung zu verstehen, die in Deutschland allein schon die Existenz der PDS auslöst. Ist dieser Kreuzzug gegen die „roten Socken“, die „rotlackierten Faschisten“, zu dem der Kanzler aufgerufen hat, ist diese ganze verbale Gewalt nicht völlig hirnrissig, nur Ausdruck einer Obsession? Daß im neuen Bundestag nun auf 30 von insgesamt 672 Sesseln PDS-Abgeordnete sitzen, kann ja wohl keine Gefahr für die Demokratie sein.

In Frankreich ist das Adjektiv „kommunistisch“ kein Schimpfwort. Höchstens in den 50er Jahren wäre eine Kampagne gegen „rote Socken“ vorstellbar gewesen. Die Kommunisten gehören vielmehr zum kulturellen und politischen Stammgut der Nation, zum Land- und Familienleben Frankreichs. In jedem französischen Dorf gibt es einen Peppone, den die anständigen Bürger schief ansehen. Es gibt in jeder französischen Familie einen kommunistischen Onkel, der bei jedem Mittagstisch für Streit sorgt. Keinem französischen Politiker, und sei er noch so konservativ, käme es je in den Sinn, seinen Rivalen von der KP als „Faschisten“ zu behandeln.

Im Nachkriegsdeutschland, so erklären die Deutschen, sei eben aufgrund der politischen und geostrategischen Situation alles ganz anders. Gewiß, die Mauer und die allgegenwärtige DDR haben die Lage polarisiert. Gewiß, Adenauer hat sich des Kommunismus bedient, um die Identität und Andersartigkeit der Bundesrepublik zu zimmern und zu zementieren. Aber heute ist Deutschland vereint, souverän und ohne Mauer. Und doch: Die alten abgedroschenen Schimpfwörter des Kalten Krieges blühen weiter. Im Deutschland Helmut Kohls behandelt man die „Kommunisten“ – und unter diesem Namen werden unterschiedslos Widerstandskämpfer, Reformer, Stalinisten und Honeckerianer in einen Topf geschmissen – wie Aussätzige.

Und die Verbindungen zur Stasi. Kerstin Kaiser- Nicht wurde an den Pranger gestellt, weil sie als Studentin die Sauberkeit der Jeans und die Marke der Kosmetika ihrer Kommilitoninnen ausspioniert hatte. Was für eine Affäre! Dieser weitere Beweis für die kleinbürgerliche, quasi surrealistische Schäbigkeit des alten ostdeutschen Apparats wird gewisse französische Politiker zum Schmunzeln bringen, die bis zum Hals in viel kompromittierenderen Korruptionsskandalen stecken: Da war doch die Affäre Barschel von ganz anderem Kaliber! Es geht nicht darum, die systematische Denunziation unter dem alten Regime zu bagatellisieren oder jene zu entschuldigen, die sich kompromittiert haben, oder gar zu vergessen, daß viele Menschen gelitten haben. Daß das Dossier Gysi nach den Wahlen nun auf den Tisch kommt, ist eine gute Sache. Aber die Vorgehensweise stört mich. Es wird in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen und gewogen. Man klammert sich an die PDS und vergißt beinahe, in der gewiß nicht sehr sauberen Vergangenheit der Mitglieder der CDU-Ost und der anderen Satelliten-Parteien zu wühlen, die nach dem Fall der Mauer diskret in die großen Westparteien eingetreten sind. Man vergißt ebenfalls, daß Manfred Stolpe, der triumphal wiedergewählte Ministerpräsident Brandenburgs, von der Stasi mit einer Verdienstmedaille ausgezeichnet wurde und diese Ehre monatelang verheimlicht hat.

Ich frage mich vor allem, ob die Art, über sensationelle Enthüllungen in der Presse Prozesse anzustrengen, das beste Mittel ist, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, die die Ostdeutschen ja nicht wegzaubern können. Was drängt eine junge, intelligente Frau dazu, über die Handlungen ihrer KollegInnen bis in die bedeutungslosesten Details Bericht zu erstatten? Wie konnte ein so schäbiges System sich vierzig Jahre lang am Leben halten? Das sind die wirklichen Fragen.

Der Erfolg der PDS – 20 Prozent der Stimmen im Osten, zwei Millionen Wähler – kann nicht mehr mit den billigen und beruhigenden Argumenten erklärt werden, die uns die aufgeschreckte Bonner politische Klasse bei jeder Gelegenheit serviert. Die PDS ist eine demokratisch gewählte Partei, und ihre Wähler – alle Wahlanalysen bestätigen es – lassen sich nicht auf eine Handvoll alter verkalkter Stalinisten, deklassierter und nostalgischer Parteikader und ehemaliger Stasi-Agenten reduzieren, die unentwegt dem alten Regime anhängen. Viele junge Leute (zwischen 18 und 25 Jahre alt), die man schwerlich bezichtigen kann, sich emsig am Aufbau des Honecker-Regimes beteiligt zu haben, wählten PDS. Die Partei ist nicht bloß das Ventil der Frustration von Einheitsverlierern, Arbeitslosen und anderweitig Deklassierten. Die Wahlanalysen zeigen, daß Intellektuelle, Freiberufliche und sogar Jungunternehmer, die vom Fall der Mauer dick profitiert haben, zur PDS gestoßen sind. In diesem Herbst habe ich in Neuruppin christdemokratische Unternehmer getroffen, die ohne jeden Skrupel Hand in Hand mit dem PDS-Bürgermeister zusammenarbeiten, der als kompetent und ein großer Verfechter der Marktwirtschaft gilt. Die Sirenen aus Bonn sind mitunter ein sehr schlechter Widerhall der Realität.

Statt die PDS zu dämonisieren, täten die andern Parteien besser daran, sich zu fragen, weshalb es nicht ihnen gelungen ist, diese zwei Millionen Menschen hinter sich zu scharen, die sich in „Gysis Truppe“ wiedererkennen. Die PDS ist doch die einzige originär östliche Partei, die den großen Identitätsknick nach der energischen Durchsetzung der Westmaßstäbe, verstanden hat. Ihr Erfolg spiegelt die Schwierigkeit der zwischendeutschen Vereinigung wider. „Man steckt ihnen das Geld in den Arsch, und dann wählen sie kommunistisch. Wie undankbar!“ so klagen viele Westdeutsche. Sie versuchen nicht zu begreifen, weshalb die Ostdeutschen – zweifellos nur für eine Übergangszeit – es nötig haben, sich an ihre Vergangenheit, ihre Besonderheit zu klammern. Die PDS kann bei der schwierigen Integration der Ostdeutschen eine wichtige und positive Rolle spielen. Es ist besser, wenn diese ganze Wut und Verbitterung im Bundestag eingefangen werden und sich dort frei ausdrücken kann, als wenn sie außerhalb schließlich explodiert. In einem pluralistischen und demokratischen Deutschland darf es „Kommunisten“ geben. Ja, es muß sie sogar geben. Pascale Hugues

Korrespondentin der französischen Tageszeitung „Libération“

(Übersetzung: thos)