Solo für den letzten Brüter

Die europäischen Partner drohen aus dem französischen „Superhönix“-Projekt auszusteigen / Experimente ohne wirtschaftlichen Sinn  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Galgenfrist für einen „Jahrhundertvertrag“ der Atomindustrie: Bis Ende Dezember wollen die Aktionäre des größten und teuersten schnellen Brüters der Welt, Superphönix genannt, einen neuen Vertrag ausarbeiten. Die radikale Revision ist ein letzter Versuch, ein Auseinanderbrechen der europäischen Betreibergesellschaft NERSA zu verhindern. Denn seit in den vergangenen Wochen die italienischen, deutschen, belgischen, niederländischen und britischen Partner mit ihrem Ausstieg aus dem Projekt gedroht haben, steht die Existenz der NERSA selbst auf dem Spiel. Allein die französische Elektrizitätsgesellschaft EDF, die 51 Prozent der NERSA-Aktien hält, ist nach eigenem Bekunden noch uneingeschränkt bereit weiterzumachen.

Über 50 Milliarden Franc (etwa 15,2 Milliarden Mark) haben die sechs europäischen Energiekonzerne, die die NERSA 1973 gründeten, in den schnellen Brüter gesteckt. Mit dem Reaktor der besonderen Art wollten sie nicht nur Strom, sondern vor allem Plutonium produzieren und damit eine neue Epoche in der Atomtechnologie einläuten. Konzipiert auf dem Höhepunkt der Ölkrise und mitten im Kalten Krieg, sollte der Superphönix das Instrument zur rohstoffunabhängigen Gewinnung von Energie werden.

Doch die Zukunftswerkstatt entwickelte sich zur teuersten Baustelle der Welt und sorgte für politische Polarisierung: Europaweit kam es zu Protesten gegen den mitten in einem Ballungsraum (50 Kilometer nördlich von Lyon und 70 Kilometer westlich von Genf) gelegenen Reaktor, in dessen Innerem 5.000 Tonnen Natrium und fünf Tonnen Plutonium lagern. Bei einer Demonstration von AKW- Gegnern am Bauplatz in Creys- Malville kam 1976 der junge Vital Michalon ums Leben.

1986 ist der Brüter ans Netz gegangen, funktioniert hat er nur 174 Tage. Der Strom, den er erzeugte, war 25mal teurer als sonstiger Atomstrom. Und eine schier unendliche Serie von Pannen sorgte für beinahe ständigen Stillstand. Der schwerste Zwischenfall war das wiederholte Entweichen von Natrium, was im Juli 1990 schließlich zum Abschalten und zum Umbau der Anlage führte. Doch selbst im Ruhezustand blieb der Superphönix unberechenbar: So stürzte das Betondach des Maschinenhauses unter der Last von Schneemassen zusammen.

Anfang dieses Jahres genehmigte die Reaktorsicherheitsdirektion (DSIN) der französischen Regierung eine – allerdings stark eingeschränkte – Wiederinbetriebnahme des Superphönix. Regierungsmitglieder begründeten den Schritt unter anderem mit dem Druck der europäischen Partner, die aus dem Vertrag auszusteigen drohten.

Zuviel Plutonium nach dem Kalten Krieg

In dem Bericht hieß es, der Reaktor solle auf ewig ein Prototyp bleiben. Das habe die Konsequenz, daß er künftig zu Forschungszwecken und nicht vorrangig der Elektrizitätsgewinnung diene. Als weitere – völlig neue – Zukunftsaufgabe für den Superphönix nannte die DSIN seinen Ausbau zum „Plutoniumvernichter“. In der ursprünglich zur Plutoniumproduktion gebauten Anlage sollen Forschungen über die Verbrennung von Plutonium angestellt werden. Im Zeichen weltweit gesunkener Uranpreise und eines nach Ende des Kalten Krieges geringeren Bedarfs an waffenfähigem Plutonium schien der Vorschlag logisch. Der Haken: Die Technik der Plutoniumvernichtung ist noch unerforschter und unberechenbarer, als die zu seiner Anreicherung. Die DSIN behauptet in ihrem Bericht zwar, daß „bislang keine Sicherheitsprobleme erkennbar“ seien, doch stellt sie zugleich eine maximale Vernichtung von 20 bis 30 Kilogramm Plutonium pro Jahr in Aussicht. Angesichts der jährlich in AKWs anfallenden 10 Tonnen Plutonium eine lächerliche Menge.

Die französische Atomindustrie verfiel dennoch ins Träumen. Der Chef der Elelektrizitätsgesellschaft EDF dachte öffentlich über eine neue Generation von „Sousgénérateurs“ nach. Ganz anders die übrigen Aktionäre: Bei der letzten Sitzung des NERSA-Aufsichtsrates, im Oktober in Venedig, knallte es hinter verschlossenen Türen. Direktionsmitglieder der RWE sprachen offen von einem Vertragsbruch. Der neuen Betriebsart des Superphönix, so RWE-Mitarbeiter Ulrich Mutschler, „stehen wir äußerst zurückhaltend gegenüber, da die zu gewinnenden Kenntnisse für die Partner aus Deutschland, Großbritannien, Belgien und den Niederlanden ohne praktischen Wert sind“.

Fordern die ehemaligen Partner ihr Geld zurück?

Die in Lyon angesiedelte NERSA ist seither auf Tauchstation gegangen. Sie schickt die französische Elektrizitätsgesellschaft vor. Aber auch dort heißt es: „Kein Kommentar“. Die EDF ist lediglich bereit, einzugestehen, daß der Gründungsvertrag nicht alle gegenwärtigen Funktionen des Superphönix abdecke. An ein Ende des schnellen Brüters sei keinesfalls gedacht. Die größte Gefahr für die EDF, die bereit ist, die zusätzlich anfallenden Kosten für die Forschungen zur Plutoniumvernichtung zu tragen ist ein Ausstieg ihrer Atompartner. Denn sollten die italienische Enel (33 Prozent der Aktien) und die in der SBK (16 Prozent) zusammengefaßten deutschen, belgischen, niederländischen und britischen Energiekonzerne gehen, werden Entschädigungen in Milliardenhöhe fällig.

Superphönix läuft unterdessen auf kleiner Flamme. Im August ging er nach einem vom Premierminister unterzeichneten Dekret mit zunächst 3 Prozent seiner Kapazität ans Netz. Offiziell gab es seither nur eine „kleine Panne“ im September, bei der Edelgase austraten. Am Montag dieser Woche gab die DSIN deshalb grünes Licht für eine schrittweise Kapazitätserhöhung auf 30 Prozent. Die angekündigten Experimente und technischen Demonstrationen haben noch nicht begonnen. „Die Maschine funktioniert“ sagt eine Sprecherin des französischen Industrieministeriums, „das ist immerhin schon etwas.“