Linke Eltern sind kein Schutz vor Rechts

Im Mordprozeß um die Solinger Brandanschläge sagten gestern die linken Eltern des Angeklagten Felix K. aus / Beide sind weiterhin von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Ja, es gab Momente, da kamen Ernst K. an der Darstellung seines Sohnes Felix Zweifel. Rein „emotional“ hat er ihm die Beteiligung an dem mörderischen Solinger Brandanschlag, der fünf türkische Frauen und Mädchen das Leben kostete, zwar „nie zugetraut“, aber nach der Ausstellung des Haftbefehls sah er sich zunächst einfach gezwungen, „eine Mittäterschaft ins Auge zu fassen“. Ganz ohne Grund, das traute Ernst K. den obersten Ermittlungsbehörden in Deutschland einfach nicht zu, würden die doch nicht einen 16jährigen Jungen verhaften: „Da muß da schon was dran sein.“ Inständig bittet er seinen Sohn am Tag der Festnahme deshalb zu gestehen, so er dabei gewesen sei. „Denn mit einer solchen Lüge können wir alle nicht leben.“ Doch der Sohn bleibt dabei. „Ich war es nicht. Papa, ich kann doch nicht etwas gestehen, was ich nicht gemacht habe.“

Bei der Schilderung des Vaters verstummt auch das letzte Geflüster im Düsseldorfer Gerichtssaal. Man spürt das emotionale Beben in der Brust des Mannes, als er beschreibt, wie ihm im Solinger Polizeipräsidium der ungeheure Verdacht unterbreitet wird: „Ich habe gedacht, vor mir tut sich ein Abgrund auf. Ich habe gedacht, jetzt ist alles aus. Du kannst dich nirgendwo mehr blicken lassen, wenn das stimmt.“

Ernst K. ist Arzt, Mitglied der Initiative Ärzte gegen Atomkrieg. Zusammen mit seiner Frau Marianne, einer studierten Architektin, ist er seit Jahren in der Friedens- und Ökologiebewegung aktiv. Wenn sein Sohn über dieses Engagement redet, klingt das so: „Meine Eltern waren eher linksmäßig aktiv.“ Ja, linke Eltern, die sich an Telefonketten zum Schutz von Flüchtlingen beteiligen, die bei antirassistischen Demos „Haß macht krank“-Plakate tragen und den Opfern von Tschernobyl helfen. Man kann die Alpträume erahnen, die diese Eltern durchlitten, als sie feststellen mußten, daß ihnen ihr Sohn als 14jähriger entglitt und in die rechtsradikale Szene abdriftete. Mit Springerstiefeln, kurzgeschorenen Haaren und Bomberjacke rannte er durch die Stadt. In einer Jugendclique, die alle „auf dem rechten Trip“ waren. „Im Jahr 1992“, so erzählt Marianne K., „hatte Felix starke Rechtstendenzen. Da war mir mein Sohn sehr fremd.“ Gefragt nach „seinem rechten Trip“, sagte Felix im jugendlichen Schnodderton im Gerichtssaal: „Na ja, Ausländer raus, Juden raus, Türken raus, Sieg heil, Deutschland erwache. Mehr eigentlich nicht.“ Ein „klein wenig“ habe er das wohl auch gemacht, um „meinen Eltern zu zeigen, ich bin ich selber und nicht wie ihr“. Erst seit seiner Verhaftung habe er „richtig begriffen, daß meine Eltern es nur gut mit mir meinen. Das sieht man auch daran, wie sie für mich kämpfen.“

Es gab vor der Mordnacht von Solingen einige Zeichen der Abkehr vom rechten Rand. Mölln, so sagt Ernst K., war so „eine Art Zäsur“, danach keimte „eine berechtigte Hoffnung“ bei den Eltern auf, daß sich Felix „langsam von der rechten Szene zu lösen begann“. Für die Nebenkläger stellt sich die Entwicklung indes anders da. Sie sprechen von einer „schwankenden Diskussion“, die aber bei Felix K., so Rechtsanwalt Eberhard Reinecke gestern, „nicht zu einer Abkehr vom rechtsradikalen Gedankengut geführt hat“. Noch Ende 1992, also nach dem Möllner Anschlag, sang Felix seiner Mutter nach einem Streit das „Türkenlied“ der Böhsen Onkelz vor. Mit dem rassistischen und zutiefst frauenfeindlichen Text, den Felix in seinen Computer abspeicherte, habe er sie direkt angreifen wollen, sagt Marianne K. heute. „Dieser Text war eine Provokation gegen mich. So habe ich das gewertet.“ Mit Beginn des Jahres 1993 habe sich das Verhältnis zu ihrem Sohn aber wieder gebessert. Die Eltern sind von der Unschuld ihres Kindes überzeugt. Diese Gewißheit kam Ernst K. am 8.Juni 1993, fünf Tage nach der Verhaftung seines Sohnes. An diesem Tag durften die Eltern mit dem Einverständnis des Bundeskriminalamtes allein mit ihrem Sohn im Gefängnis sprechen.

Alles, so sagt Marianne K., habe man bei diesem Gespräch unternommen, „um ihm ein Geständnis zu erleichtern. Wir haben ihm klar gemacht, du bleibt unser Sohn, wir lieben dich trotzdem. Du mußt dann in einer Ausnahmesituation gewesen sein.“ Doch der 16jährige hielt an seiner bisherigen Darstellung fest: „Ich war es nicht.“ Auch nach vier Monaten Einzelhaft bleibt er dabei. Als Ernst K. sich dieser Zeit gestern erinnerte, versagte ihm die Stimme: „Das hält ein Junge mit 16 nicht durch, eine Tat so lange zu leugnen. So ein harter Knochen war er nicht.“ Danach war für Ernst K. alles klar: „Von da an hab ich meinem Sohn hundertprozentig geglaubt, und das tue ich auch heute noch.“