Bepelzt in die Freude schreiten

Der 61. Internationalen PEN-Kongreß in Prag praßt vor ärmlicher Kulisse  ■ Von Tomas Niederberghaus

Taslima Nasrin wirkt müde, abgespannt, medial überstrapaziert. Und das wundert nicht. Kameras klicken. Blitzlichter flackern. Rundfunkreporter fuchteln schwindelerregend ihre Mikrophone durch die Luft. Auch ein halbes Dutzend Bodyguards umzingelt die bengalische Schriftstellerin im Foyer des gläsernen Prager Luxushotels Atrium. Vorbei an blankgeputzten Palmen, wuchtigen Ledersesseln und plätschernden Springbrunnen zieht der Pulk zum Konferenzsaal. Kurz davor: Beamte leuchten Journalisten ab, durchsuchen Taschen nach Waffen und Sprengsätzen. Detektoren melden jeden Reißverschluß – die Sicherheitsvorkehrungen bei dieser Veranstaltung des 61. Internationalen PEN-Kongresses stehen denen in internationalen Flughäfen in nichts nach.

„Autoren in Haft“ heißt der Ausschuß, der mit Taslima Nasrin seine Ergebnisse der Presse vorstellt. „Bangladesch ist ein armes Land“, sagt Nasrin, „die Regierung unterdrückt alle Veröffentlichungen, die ihrem Ruf schaden könnten.“ Und weil sich eigentlich kein Land gerne den gespitzten Griffel in die Wunden legen läßt, wird beim Autorentreffen in Prag bis einschließlich heute über „Literatur und Toleranz“ im allgemeinen und über die Beziehungen zwischen Intellektuellen und Regierungspolitik im speziellen diskutiert. „Im vergangenen Jahr“, so die Bilanz, „wurden weltweit 89 Autoren ermordet und 150 inhaftiert. Der PEN-Club hat eine Broschüre veröffentlicht, in der über 200 weitere Autoren berichtet wird, die in Schwierigkeiten sind. Zum Beispiel Ken-Saro Wiwa, dessen Fall im Schatten seines Landsmanns Wole Soyinka steht: Der nigerianische Schriftsteller wurde im Mai dieses Jahres ohne Angabe von Gründen eingesperrt. Wochenlang mußte er Eisenketten um Arme und Beine tragen.

Ortswechsel. Im barocken Rytirsky-Sál, am Fuße der Prager Burg, verleiht Václav Havel erstmals den Karel-Čapek-Preis. Der PEN-Kongreß hatte sich für Philip Roth und Günter Grass entschieden. Die beiden Autoren, heißt es in der Begründung, haben durch ihre Schriften und andere Aktivitäten der tschechischen Literatur und Gesellschaft in der Zeit vor dem Eisernen Vorhang geholfen: Roth (der aus Gesundheitsgründen nicht erscheinen konnte) durch seine Zuckerman-Trilogie und den Epilog „Prager Orgie“. Grass durch seine „zweifellosen Erfolge bei der Unterstützung tschechischer Dissidenten“. „Čapek“, sagt Grass nach Empfang der Trophäe, „hat die ideologischen Schrecknisse beispielhaft vorausgesagt.“ Allerdings gebe es nun, nach dem Ende der von Faschismus und Kommunismus geprägten Epoche, keinen Grund zur Beruhigung. Und dann wirft er einen düsteren Blick über den Brillenrand und fährt fort: „Die Öffentlichkeit beginnt sich an barbarische Zustände zu gewöhnen.“ Europa verkomme zu einer Festung. Allein die deutsche Regierung „hält über 4.000 Abschiebehäftlinge hinter Gittern.“

Nicht auf allen der über 70 Veranstaltungen werden so messerscharfe Aussagen gemacht. Viele der Themen sind zu weit gefaßt, „Frauen und Literatur“ etwa. In den sechs Minuten Redezeit, die jeder der 16 Diskussionsteilnehmerinnen zustehen, läßt sich kein gemeinsamer Nenner finden. Es geht um Papst und Pille, um die Schwierigkeit, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. „Nichts Neues“, wettert die amerikanische Kollegin von Radio Metroplis in Prag.

Der Kongreß ist ein Kongreß ist ein Kongreß. Mit Abendprogramm natürlich – unter dem Motto „Jazz brings joy“. In edelster Abendgarderobe – man sieht die ersten Pelze – treffen die ersten PEN-Mitglieder im Nachtclub Radost („Freude“) ein, einige der älteren Damen in Begleitung attraktiver Tänzer aus dem tschechischen Schwulenmilieu. „Jen na pozvánky“ – nur für geladene Gäste, weist der muskelbepackte Türsteher die tschechischen „Normalbürger“ zurück. Die Besitzerin Bethea Zoli hat den einst düsteren Amitreff mit frischen Naturfarben in eine nordafrikanisch anmutende Grotte verwandelt. „Havel soll kommen“, sagt sie. Und da ist er auch schon. Sicherheitsbeamte bahnen dem Präsidenten den Weg. Bei Jazz, frischen Früchten und Champagner wird bis in die Puppen gefeiert.

Sieben Millionen tschechische Kronen kostet PEN der Kongreß. Ota Filip, Wahlbayer, der in seiner tschechischen Heimat als „Rebell“ gilt, hatte dem „Monsterkongreß“ schon vor Beginn „Größenwahn“ vorgehalten. Sechs Staatsempfänge von Prager Politikern, das habe man „in der Geschichte des PEN-Clubs noch nicht erlebt“. Das trifft auch den tschechischen Ministerpräsidenten Václav Klaus. Der Mann, der die Marktwirtschaft vergöttert, hat sich mit einer kurzen Veröffentlichung „über Toleranz“ in den Reigen der Intellektuellen geschlichen. Wohl deshalb, das ist in Prag bekannt, weil er Václav Havel das Schriftstellerdasein neidet.

Ota Filip jedenfalls paßte der pompöse PEN-Kongreß nicht. Und flugs lud er zum alternativen Kongreß in Haroslav Hašeks einstige Stammkneipe „U kalicha“ ein. Gut gemeint? Der spitze Pfeil gegen die PEN-Kollegen ist ein Bumerang. Die Kneipe „U kalicha“ ist inzwischen zu einer Touristenburg verkommen. Kein Tscheche kann sich dort ein Schnitzel und ein Bier leisten. Grass gesagt: „Nur eine tolle Feuilletonidee.“