Parlament als Notar des Volkes

■ Die österreichische Grünen-Spitzenkandidatin Madeleine Petrovic über EU-Beitritt, Neutralität und den neuen Nationalismus

Wien (taz) – Gestern stand im österreichischen Parlament die Ratifizierung des Beitritts zur Europäischen Union auf dem Programm, nachdem die BürgerInnen sich in einem Referendum im Juni mit überraschend klarer Mehrheit dafür ausgesprochen hatten.

taz: Noch im Sommer waren die österreichischen Grünen vehement gegen den Beitritt zur EU...

Madeleine Petrovic: Wir hatten gehofft, gemeinsam mit den skandinavischen Ländern durch die Verweigerung eine Schockwirkung auszulösen, die dann zu Veränderungen der EU geführt hätte.

Die Mehrheit zog es vor, EU- Politik „von innen“ zu verändern.

Vielleicht ist dies eine ebenso legitime Position. Es war natürlich eine sehr unfaire Kampagne. Die Gegner des EU-Beitritts hatten keine Mittelausstattung, das Geld ist einseitig in eine sehr tendenziös geführte Pro-Kampagne gesteckt worden. Dennoch haben wir dieses Ergebnis akzeptiert.

So sehr, daß Sie sich entschlossen haben, der Ratifizierung im Parlament zuzustimmen.

Ja. Eine Entscheidung des Volkes über eine Gesamtänderung der Verfassung ist die höchste Entscheidung, die getroffen werden kann. Wenn es keine echte Gewissensfrage ist, wie etwa bei der Wiedereinführung der Todesstrafe oder ähnlichem, ist die Tätigkeit des Parlaments hier so etwas wie ein notarielles Beurkunden.

Ist die heilige Kuh Österreichs, die Neutralität, keine Gewissensfrage? Als EU-Mitglied wird Österreich auch Mitglied des bis 1996 zu erarbeitenden europäischen Sicherheitssystems werden.

Nein. Es wird in der Frage der Neutralität eine erneute Volksabstimmung geben müssen. Das fordert ja selbst der Außenminister. Die Neutralität ist und bleibt das Baugesetz dieser Republik. Alles andere stößt auf Ablehnung.

Ihr jetziges Ja zum EU-Beitritt gewinnt an Bedeutung im Kontext des erstarkten österreichischen Nationalismus.

Sicherlich. Europäische Integration ist auch eine Antwort auf Nationalismus. Haiders FPÖ hat bei den Parlamentswahlen Anfang Oktober 22 Prozent bekommen. Plötzlich werden wieder Fragen gestellt, die ich längst für erledigt hielt. Kürzlich fuhren konservative österreichische Politiker nach Südtirol, um dort ihren Parteitag abzuhalten! Plötzlich bricht zwischen Österreich und Italien der Nationalismus wieder auf.

Aber treiben nicht gerade die gegenwärtigen Strukturen der EU viele zum rechten Populismus?

Deshalb müssen wir das Hauptaugenmerk darauf richten, die EU und die europäische Politik dramatisch zu verändern, nicht nur in Sachen Demokratiedefizit. Wir brauchen auch eine komplette ökologische Neuauflage, eine europäische Migrationskonvention, und Europa muß endlich sozialen Kriterien einführen. Sonst wird die EU von nationalen Kräften von innen her aufgefressen werden.

Was bringen Sie als Mitgift in die grüne europäische Politik ein?

Sicherlich eine intensive Vernetzung mit diversen themenbezogenen Gruppen, eine Vernetzung mit europaweiten Sachthemen und Projekten. Andererseits werden wir versuchen, so etwas wie eine Brückenfunktion zu den mittel- und osteuropäischen Grünen auszuüben. Interview: Anselm Lange