„Heym ist in seinen Äußerungen zurückhaltend“

■ Wir dokumentieren den Brief Stefan Heyms an Karl Heine und das Protokoll des Gesprächs, das Heym einige Tage später mit Heine und Stasi-Offizieren führte

Heyms Brief:

Herrn

Karl Heine

Berlin-Lichtenberg, 9.10.58

Lieber Kollege Heine!

In der Beilage sende ich Ihnen ein vervielfältigtes Schreiben, auf dem mein Vorname handschriftlich eingesetzt ist. Das Schreiben erreichte mich gestern, dem 8. Oktober.

Wie Sie aus Absatz 1 des Schreibens ersehen, versucht Brandt, meine Sympathie zu erringen und mich gleichzeitig in seine Angelegenheit zu verwickeln. Die Technik ist bekannt, sie riecht nach Provokation.

Sollte Ihnen die Sache wichtig genug erscheinen, bin ich gerne bereit, über die Begegnungen, die ich mit Brandt hatte, und über das, was ich von ihm wußte, Auskunft zu geben.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr ergebener

(Stefan Heym)

Aktennotiz der Stasi:

Hauptabteilung V/1

Berlin, den 17.10. 1958

Aktennotiz

Am 16.10. 1958 wurde gemeinsam mit dem Genossen HEINE der Schriftsteller Stefan HEYM in seiner Wohnung in Grünau aufgesucht. Es wurde über seine Mitteilung bezüglich des geflüchteten BRANDT gesprochen, wozu er zusätzlich noch folgendes mitteilte:

1954 hat HEYM den BRANDT angesprochen, um sich von ihm Einzelheiten sagen zu lassen, die er für sein Buch, welches sich mit den Vorgängen am 17. Juni 1953 befaßt, benötigte. Bei dieser ersten Unterredung war der Schriftsteller [...] anwesend. BRANDT sagte damals zu HEYM, daß es wegen der Normenfrage im Politbüro Auseinandersetzungen gegeben habe. Er wüßte das deshalb, weil er an diesem Tag abends im ZK gewesen sei. [...]

Seit Anfang 1958 wurde der Besuch von seiten BRANDTs verstärkt. Es gab ein Gespräch über das neue Buch von HEYM, welches über die Entwicklung der Sputniks schreibt. Ein weiteres Gespräch erfolgte nach dem Besuch HEYMs in der SU. Bei diesen Besuchen stellte HEYM fest, daß BRANDT mit der Politik von Partei und Regierung unzufrieden ist. Er machte auch abfällige Bemerkungen über die Person des Genossen Walter ULBRICHT. BRANDT sprach bei diesem Besuch davon, daß HEYM sein Buch über den 17.6. 53 wohl doch bei uns in der DDR nicht verlegen könnte. Er sollte es dann doch evtl. in England oder Jugoslawien versuchen, wonach er jedoch nicht mehr in der DDR bleiben könnte. Da HEYM hierauf sehr erstaunt die Ansichten BRANDTs zurückwies, brach BRANDT das Thema ab. [...]

In dieser Zeit besuchte Stefan HEYM den Prof. HAVEMANN auf seinem Wassergrundstück. Dort waren auch BRANDT und eine französische Chansonette, welche im KZ war, anwesend. BRANDT erklärte, daß er ein Buch über das KZ schreiben wolle. Er hatte auch schon einige Seiten im Manuskript verfaßt und zeigte sie HEYM. Er erwähnte dabei, daß ein Bruder von ihm in der SU in der Haft verstorben sei, daß seine Schwester, die in der SU lebt, keine Ausreise erhält.

Genosse HAVEMANN erzählte Stefan HEYM, daß er dem BRANDT die Meinung gesagt habe, da dieser sich in negativer Weise über unsere Verhältnisse ausgesprochen habe.

Einige Tage nach der Flucht traf Stefan HEYM den Genossen HAVEMANN, wobei ihm HAVEMANN erzählte, daß sein westberliner Assistent den BRANDT in Westberlin getroffen habe. Diese Mitteilung ist von HAVEMANN an die Partei weitergegeben worden. Diese Information liegt bei uns bereits vor.

Stefan HEYM hat [...] vor einigen Tagen getroffen und ihn gefragt, ob er einen Brief von BRANDT erhalten habe, was [...] verneinte.

Zur Lage unter den Schriftstellern sagte HEYM: Ein großer Teil der Schriftsteller – wobei er keine Namen nannte – nimmt eine abwartende Haltung ein. Sie wissen angeblich nicht, wie weit sie den sozialistischen Realismus in ihren Werken zum Ausdruck bringen sollten, da sie dann nach ihrer Ansicht einen ganzen Teil Kritik an die Politik der Partei und Regierung üben müßten. Da sie aber nicht wissen, was uns im Moment nützen oder schaden würde und sich keiner mit ihnen darüber ausspricht, wäre auch in nächster Zeit noch kein Umschwung in der Stimmung unter den Schriftstellern zu erwarten. Sie hätten Angst, über solche zeitnahen Probleme zu schreiben, bei denen bestimmte Maßnahmen kritisch beleuchtet werden müßten. Er schlug vor, daß sich leitende Funktionäre der Partei zunächst mit einem Teil der namhaften Schriftsteller in Form einer Aussprache beschäftigen sollten, um mit ihnen dieses Problem zu klären. Wenn dieser Teil der Schriftsteller in seinen Ansichten auf dem richtigen Weg sei, dann könnte dieser Teil die andere Kategorie der Schriftsteller überzeugen. Nach seiner Meinung gibt es auch unter den Parteimitgliedern der Schriftsteller noch keine klare Vorstellung über ihre Aufgaben, über zeitnahe Probleme zu schreiben. Er führte als Beispiel die Haltung der Parteimitglieder unter den Schriftstellern an, daß ihm einige (er nannte keine Namen, sie seien jedoch Mitglied der SED) abgeraten hätten, Mitglied der SED zu werden, da er dann noch mehr kontrolliert werden würde und noch weniger Kritik in seinen Werken bringen könnte.

Stefan HEYM nachte weiterhin einen Vorschlag: Da er über einige Probleme der Feindtätigkeit gegen die DDR schreiben möchte, möchte er einige Unterlagen vom MfS haben, ohne dabei unsere Arbeit zu gefährden. Sie sollen in ähnlicher Form geschrieben werden, wie das in der Anlage beigefügte Exposé über die Arbeit des AZKW.

HEYM selbst ist in seinen Äußerungen zurückhaltend. Er scheint sich selbst noch nicht völlig im klaren darüber zu sein, daß man nicht alles um der Kritik willen schreiben kann, wenn man nicht die Fragen gründlich untersucht, wem das nützt. Sobald er von BRANDT etwas hört, wird er uns Mitteilung machen. [...]

(Kienberg)

Major