Versiert im Umgang mit der Macht

Den Vorwurf, sich der Stasi in Sachen Heinz Brandt angedient zu haben, konnte Stefan Heym gestern entkräften – eine geölte Maschinerie hatte diesen Verdacht pünktlich zu seiner Bundestagsrede gestreut. Die Akten zeigen ihn sogar in positivem Licht.

Eigentlich hätte Stefan Heym, der raffinierte Kolporteur, den „Vorgang“ selbst erfinden können. Aber jetzt hat die Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität den gesamten Aktenstoff „Affäre Heym“ zu nichts als einer plumpen Intrige verwurstet. Heym konnte den Vorwurf entkräften, sich der Stasi in Sachen des nach Westberlin geflohenen ehmaligen 2. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Berlin, Heinz Brandt, als Informant angedient und ihr nützliche Hinweise gegeben zu haben – vielleicht sogar solche, die Brandts späterer Entführung in die DDR dienlich gewesen waren. Die in Frage stehenden Dokumente, der Brief Heyms an den „Kollegen Heine“ sowie die Aktennotiz des Majors (und späteren Generalleutnants) Kienberg über ein Gespräch mit dem Schriftsteller zeigen Heym darüber hinaus in ausgesprochen positivem Licht. Er erweist sich als versiert im Umgang mit einer Staatsmacht, von der er sich beschützt weiß, die er aber gleichzeitig – und dies aus gutem Grund – fürchtet. Er ist loyal, aber vorsichtig. Er kennt die Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Die beiden Dokumente sind Lehrstücke der Zeitgeschichte (siehe Dokumentation).

1958 ist Eiszeit in der DDR. Die Harich-Gruppe sitzt im Bau, Ernst Bloch, Hans Mayer und ihre Schüler sind als Revisionisten gebrandmarkt. Wer mit einem Funktionär bekannt war, der in den Westen floh, stand selbst im Verdacht. Vor allem wenn der Verräter ein „jüdischer Kosmopolit“ war wie Heinz Brandt, einer, der seine Ideale nicht aus dem Moskauer Exil, sondern aus dem Widerstandskampf gegen Hitler bezogen hatte.

Kurz nach Brandts Flucht (nicht seinem Seitenwechsel, er blieb bis zu seinem Tod freiheitlicher Sozialist) erhielt Heym einen hektographierten Brief mit den Beweggründen des Geflohenen. Keinesfalls konnte er diesen Brief in den Papierkorb werfen. Er schreibt an einen ihm bekannten Kriminalpolizisten, der Brief rieche nach Provokation. Er hütet sich davor, zu mutmaßen, aus welcher Ecke diese Provokation stammen könnte. Er erklärt sich bereit, Auskunft über seine Begegnungen mit Brandt zu geben, „sollte die Sache wichtig genug erscheinen“. Eine subtile Tiefstapelei. Heym, der den Kripo- Menschen nur flüchtig kannte, wird schon gewußt haben, wo sein Brief schließlich landete: bei der Staatssicherheit.

Als die Unterredung Heyms mit einigen freundlichen Herren stattfand, war Brandt bereits in Sicherheit. Er hätte also kräftig belastet werden können. Aber die Aktennotiz des Majors enthält nur karges Material. Für Heym war Brandt hauptsächlich als Auskunftsperson zur Innenansicht der SED vor, während und nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 wichtig. Daß Brandt mit der Entwicklung der DDR nach der Niederschlagung dieses Aufstands unzufrieden war und daß er Walter Ulbricht verabscheute, wußte die Stasi schon.

Brandt hat in seinen späteren Aufzeichnungen über die Gespräche berichtet, er habe Heym damals dafür kritisiert, daß er den Aufstand vom 17. Juni als Werk westlicher Agenten darstellte. „Entweder schreibst du die Wahrheit, dann ist es ein großer Stoff, der dir mehr Knast als Zaster einbringen wird, oder du bastelst die Legende aus, dann schrumpft der Stoff zusammen wie Balsacs ,Chagrinleder‘.“ Gerade über diese Kontroverse, die Heym, falls er sie der Staatsmacht berichtet, Pluspunkte eingebracht hätte, findet sich kein Wort im Protokoll des Majors.

Der zweite Teil der Unterredung zeigt einen ebenso faszinierenden wie burlesken Rollenwechsel. Jetzt ist es Heym, der die Herren im Ledermantel angeht. Eine Reihe der Genossen Schriftsteller sähen sich, so Heym, nicht in der Lage, zum sozialistischen Realismus beizutragen, weil sie dann wahrheitsgemäß über die Fehler der Partei und über Kritik an ihr unter „den Massen“ berichten müßten. Heym ging es nicht um Denunziation. Er nannte keine Namen. Sein Vorschlag: eine Aussprache der Künstler mit der Parteileitung. Eine gewollte Naivität, die ihn als loyalen Bündnispartner ausweist. Schließlich äußert Heym noch die unverfrorene Bitte, ihm Materialien für einen Agentenroman zur Verfügung zu stellen, selbstverständlich „ohne unsere Arbeit zu gefährden“. Major Kienberg enthält sich jeden Kommentars. Christian Semler