Sackhüpfen gegen Vorurteile

PolizistInnen und der Verein „Reistrommel“ luden vietnamesische Kinder zu einem Fest / Gegenseitige Ängste und das Schweigen auf beiden Seiten nach den Polizeiübergriffen sollten abgebaut werden  ■ Von Kathi Seefeld

Die Szenerie wirkte grotesk. Ein Polizeiwagen drehte am Samstag mittag vor den Wohnblöcken in der Lichtenberger Rhinstraße 105 Runde um Runde, und aus den Lautsprechern schallte fröhlicher Singsang: „Bruder Jakob, Bruder Jakob, schläfst du noch, schläfst du noch?“ Lauthals trällerten Thinh und Phu und die anderen vietnamesischen Kinder. Auf dem Platz vor dem Wohnheim kletterte der Chef der „AG Ausländer“ der Polizeidirektion 6, Gernot Rojahn, in eine Mülltüte, um beim Sackhüpfen mitzuhopsen. Zwei kleine Jungen schubsten sich gegenseitig von einem elektrischen Polizeimotorrad, und der uniformierte Wolfgang Arlt vom Verkehrserziehungsdienst spielte mit Leuten, die er sonst als potentielle Zigarettenhändler kennt, Ping-Pong.

Tapfer trotzten die Beamten der schneidenden Kälte dieses Novembertages, verteilten Süßigkeiten und Luftballons. Bei Volker Mehmce konnten kleine Polizeimäuse grün ausgemalt werden, und weil Quing das so schön machte, bekam sie einen Lutscher. Thu erzählte, daß sie acht Jahre alt sei und Polizisten ganz nett finde. Am Polizei-Infomobil lagen Broschüren aus: „Sicherer Umgang mit Geld“ und „Schützen Sie Ihr Boot vor Dieben“.

Ein Fest – initiiert, um Ängste abzubauen. Die Beamten, so Gernot Rojahn, seien alle sofort bereit gewesen zu kommen. Etliche hätten sogar aus eigener Tasche ein paar Mark beigesteuert. Man wolle zeigen, daß Polizisten auch nur Menschen sind. Angeregt wurde das Kinderfest von den MitarbeiterInnen des Beratungszentrums „Reistrommel“, die mit der Veröffentlichung von Gedächtnisprotokollen im Juni dieses Jahres auf das Problem von Mißhandlungen durch Beamte aufmerksam gemacht hatten und nun feststellen mußten, daß die Opfer kaum noch bereit sind, gegen Polizisten auszusagen. Anders als im Land Brandenburg, wo in Bernau bekanntgewordene Fälle umgehend zu Konsequenzen führten, arbeite Berlin offenbar an der Rechtfertigung einer Einstellung der Ermittlungen, so der Vorwurf des „Reistrommel e.V.“.

Anstatt Widersprüche und Ungenauigkeiten in den Aussagen der VietnamesInnen sachlich aufzuklären, hätten ermittelnde Beamte in den vergangenen Wochen zunehmend Druck auf die Betroffenen sowie die MitarbeiterInnen des Beratungszentrums ausgeübt. „Uns wurde unterstellt, wir hätten den VietnamesInnen die Geschichten eingeredet, wir wären die Drahtzieher, um mit anderen linken Gruppierungen die Polizei kaputtzumachen.“ Opfer wurden pauschal der Falschaussage bezichtigt und in zwei Fällen im Gegenzug Strafverfahren angedroht.

Die Situation ein wenig zu entkrampfen könnte mit dem Kinderfest gelungen sein. Auch wenn viele der VietnamesInnen mit verständlichem Mißtrauen die Szenerie lieber vom Fenster aus verfolgten – schließlich kannten sie die Beamten nur von den ständigen Razzien auf der Suche nach Zigarettenhändlern. Einem der Polizisten rutschte da schon mal Verständnis für die „belämmerte Situation der Leute“ heraus. „Bei 200 Mark Miete für solche Löcher, in denen die wohnen“, sei es nicht verwunderlich, wenn statt 600 gemeldeten Bewohnern über 1.000 dort hausten, um gemeinsam für die Miete aufzukommen.

Für den Dienststellenleiter des für die Rhinstraße zuständigen Polizeiabschnitts, Udo Streckenbach, sind Mißhandlungen durch Beamte weiterhin schwer vorstellbar. Dennoch, so sagte er am Rande des bunten Treibens, bei über 10.000 Schutzpolizisten, die in Berlin im Dienst seien, könne es durchaus vorkommen, „daß einige der Beamten über die Stränge schlagen“.

Durch Schulungen würden die Beamten inzwischen auf ihre Einsätze besser vorbereitet. Der Aufklärungsbedarf ist enorm, stellte auch Tamara Hentschel fest. Sie referierte in der vergangenen Woche vor Polizeibeamten über die Situation der VietnamesInnen. „Vorgesehen war, daß ich zwei Stunden spreche, inklusive Zigarettenpause. Nach drei Stunden mußten wir letztlich aufhören, und auch auf die Rauchpause legte niemand Wert.“