Dieter Spöris Schwabenstreiche

■ Wirtschaftspolitisches Gerangel in Baden-Württemberg

Stuttgart (taz) – Kaum meldet eine Firma in Baden-Württemberg Entlassungen an, tritt Dieter Spöri auf den Plan. Man hat den Eindruck, daß kein anderer Wirtschaftsminister sich für die Betriebe seines Bundeslandes engagiert. Jüngste Beispiele: Nokia, Zeiss und SEL. Mittelständler kritisieren inzwischen die Subventionspolitik des Sozialdemokraten scharf. Den stellvertretenden Ministerpräsidenten kann das kaltlassen. Er habe „bei 900 Sanierungsfällen im mittelständischen Bereich“ mitgemischt, sagt er.

Eine alltägliche Geschichte: Eine Betriebsratsdelegation der Firma Temic, des Heilbronner Halbleiterwerks von Daimler- Benz, kommt ins postmodern eingerichtete Büro des „Genossen Dr. Spöri“. Sie bittet um Unterstützung, weil sonst Arbeitsplätze gefährdet seien. Dafür nimmt sich Spöri Zeit. Und kann auch zugeben, daß er ratlos ist.

Heute reist er nach Bonn. Es geht um die Arbeitsplätze der Alcatel-Tochter SEL. Der Post-, der Verteidigungs- und der Verkehrsminister könnten mit vorgezogenen Aufträgen helfen. Auch Ministerpräsident Erwin Teufel fährt mit, der sich selbst als Retter in der Not zeigen will. Beide empfangen dann am Donnerstag den Alcatel- Chef Pierre Suard im Staatsministerium. Keine Selbstverständlichkeit für den „kleinen Napoleon“, der den Konzern im Stile eines absolutistischen Regenten führt.

Die Landesregierung wird trotzdem kein Geld lockermachen. Denn Baden-Württemberg fördert grundsätzlich nur den Mittelstand. Dennoch unterscheidet sich Spöris Wirtschaftspolitik von der seiner CDU-Vorgänger. Der Sozialdemokrat verlangt nachvollziehbare Entwicklungskonzepte. Und bezieht die Betriebsräte und die Gewerkschaften ein. „Dialogorientierte Wirtschaftspolitik“, nennt er das. So kommt es vor, daß Unternehmer im IG-Metall-Büro vorstellig werden, um in Stuttgart Gelder lockerzumachen.

In den meisten Chefetagen wird der einstige Unternehmerschreck inzwischen geschätzt. Wenn Spöri einem Konzern vorwirft, er habe „die Öffentlichkeit verarscht“, ist das keine klassenkämpferische Attitüde. Längst vergessen die Zeiten des Flick-Untersuchungsausschusses, die den damaligen Juso bekannt gemacht haben. Spöris Verhältnis zu den Industriekapitänen ist so gut, daß es den heutigen Jusos schlecht wird. Wenn er sich für die großen Krisenbetriebe engagiert, dann ist das Öffentlichkeitsarbeit, die den Koalitionspartner ärgert. So kommt es vor, daß der Wirtschaftsminister dem Zeiss-Sanierungsplan widerspricht, der Ministerpräsident den Sanierern Unterstützung zusagt, um dann von seinem Vorgänger Späth wieder eine kleine Ohrfeige einzustecken: Auch in den Reihen der CDU stößt Teufel mit solchen Profilierungsversuchen auf Kritik. Manche trauern dem „Cleverle“ Späth nach, der die Zeiss-Krise allerdings selbst erst viel zu spät erkannt hat.

Staatliche Interventionen im Stil des Niedersachsen Schröder gibt es im Baden-Württemberg auch jetzt. Die Große Koalition fördert nicht einmal Beschäftigungs- oder Entwicklungsgesellschaften. Echte Strukturpolitik fehlt seit je. Späth setzte auf den Transfer von neuer Technologie. Davon profitieren zu 75 Prozent die Großkonzerne. Die einseitige Wirtschaftsstruktur im „Ländle“ wurde zementiert. Sie war für den dramatischen Niedergang seit 1992 verantwortlich.

Die Technologieförderung hat zudem nicht verhindern können, daß die beiden Säulen der Süd- West-Wirtschaft ihre Weltmarktposition verloren haben. Der Maschinenbau ist daran gescheitert, daß man die rechner- und sensorengestützte Steuerung verschlafen hat. Und die Automobilindustrie setzte auf die Dinosaurier- Mercedes-S-Klasse.

Auch Spöri wagt in dieser Frage keinen Konflikt. Und Ministerpräsident Teufel hat schon gar nichts dazugelernt. Sein Staatsministerium unterhält eine Art Neben- Wirtschaftsministerium. Der Landesvater will Grundsatzfragen selbst entscheiden. Bei der Förderung einer „Datenautobahn“ streiten sich jetzt das Staats- und das Wirtschaftsministerium um die Entscheidungskompetenz. Tendenz: Inhaltsreiche Fragen entscheiden die Teufel-Leute, technische die Spöri-Mannschaft. Hermann G. Abmayr