: He was all soul!
■ JazzFest-Begründer Joachim Ernst Berendt über Martin Luther King, Black Muslims und den Jazz der Sechziger
Ganz esoterisch ist er dann doch nicht geworden: Im Rahmen der Europäischen Kulturtage '94 in Karlsruhe hielt Joachim Ernst Berendt einen Vortrag namens „Jazz und Widerstand“, mit dem er sich nach zehn Jahren wieder zum Thema Jazz zurückmeldete. „Jazz ist politische Musik. Von Anfang an – weil er in eine Gesellschaft hineintönte, die sich instinktiv zu ihr im Widerspruch und Widerstand fühlte – und bis zu einem gewissen Grade auch weiterhin fühlt“, lautet eine der Kernthesen des Mannes, der 1964 die Berliner Jazztage gründete und später über „das dritte Ohr“ philosophierte.
taz: 1964 schrieb Ihnen Martin Luther King eine Grußadresse für die Berliner Jazztage. Wie kam es dazu?
Joachim Ernst Berendt: Ich hatte ihm davon erzählt, daß ich in Berlin ein Jazzfestival organisieren würde, und er schrieb mir dann diese wunderbar warmherzige Note. He was all soul! Ich kannte ja sehr viele der Civil-Rights-Leute, wir waren damals sehr verwachsen in dieser widerständigen Tradition. Und deshalb finde ich es auch sehr schön, daß das JazzFest Berlin in diesem Jahr Amiri Baraka eingeladen hat, der ja für die amerikanische Szene ein Urvater dessen ist, was ich hier in Deutschland „Jazz und Lyrik“ genannt habe.
Baraka war in den sechziger Jahren nicht unumstritten. Seine Biographie, die Ehe mit einer jüdischen Frau, die Scheidung dieser Ehe, seine Wandlung zum Black Muslim und damit einhergehend auch seine antiweißen und antisemitischen Äußerungen – konnten Sie das damals als Ausdruck des afroamerikanischen Befreiungskampfes akzeptieren?
Der Antisemitismus basierte auf persönlichen Erfahrungen. Harlem, wo ja mal die upper-class von New York gewohnt hatte, war total heruntergekommen, weil die Hausbesitzer zum großen Teil Juden waren und nichts unternahmen, den Stadtteil instandzuhalten; so sahen es die Schwarzen zumindest. Während die Juden wiederum den Schwarzen vorwarfen, daß sie die Häuser verkommen lassen und den Abfall auf die Straße schmeißen. Das ist dieses ewige Thema. Und wer von uns kann dazu etwas sagen? Da liegt jedenfalls der Kern, die eigene Erfahrung von 80 Prozent schwarzer Menschen, gerade aus der Eliteschicht der in Harlem lebenden Schwarzen für ihren Antisemitismus. In diese Bresche sind dann später die Black Muslims und der Islam mit ihrem ausgeprägten Anti-Judaismus und der ihnen eigenen Aggressivität gesprungen. Es kam also das politische Moment hinzu und darüber dann noch das religiöse, wozu ich sagen möchte, daß ja viele nicht nur Black Muslims, sondern vom Islam tief durchdrungene Gläubige wurden. Und ich kann durchaus verstehen, daß man als Schwarzer die Religion der weißen Christen, die einen derart behandelt haben, nicht haben will.
Malcolm X hat den Jazz benutzt, schließlich galten die Jazzmusiker damals als die überzeugendste Kreation schwarzer Menschen. Und deshalb war es ganz nützlich, auf diesen Wagen zu springen. Ich kenne die jüngeren schwarzen Jazzmusiker allerdings nicht mehr persönlich, von den älteren kann ich aber sagen, daß ich eigentlich mit jedem bekannt war und bin. Und diese haben eigentlich alle ein betont skeptisches Verhältnis zu den Black Muslims. Es gibt auch einen Unterschied zwischen Black Muslims und Islam. Ich bin der Überzeugung, daß die Aggressivität des Islam, die uns heute so bewußt ist, ein Degenerationsmoment ist.
Was denken Sie heute angesichts der Popularität von Black Music?
Unsere ganze Zivilisation bekommt ja heute durch die populäre Black Musik einen schwarzen Impetus, eine Injektion an Schwärze, von der wir, die ja einst auf verlorenem Außenposten dafür kämpften, nie zu träumen gewagt hätten. Allein die Art, wie junge Leute sich heute bewegen, zeigt, was sich in dieser Hinsicht verändert hat. Unvorstellbar bei meiner Generation, die ja immer für ein mehr körperliches Bewußtsein gekämpft hat. Ein Triumph! Wenn man die Bewegungen der jungen Leute heute hier sieht. Demgegenüber ist all das, was man heute noch über Adorno und sein Nachleben in gewissen verstaubten musikwissenschaftlichen Gemütern sagen kann, absolut lächerlich. Das sind Leute, die nicht begreifen, was wirklich geschieht. Interview: Christian Broecking
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen