: Von jetzt an immer mit Akzent
Über die Darstellung von Juden im französischen Kino und „A Gitten Bonjour“, eine Reihe im Rahmen der jüdischen Kulturtage mit Filmen von Doillon, Ophuls, Zauberman u.a. ■ Von Mariam Niroumand
Merkwürdig: Juden tauchen das erste Mal in größerer Zahl im französischen Kino auf, als sie in der Gesellschaft längst Anathema sind – zu Beginn der dreißiger Jahre. Auch dann waren von den etwa 1.500 Filmen, die zwischen 1930 und 1940 gedreht wurden, die wenigsten „offiziell“ einem jüdischen Protagonisten oder Thema gewidmet. Bemerkenswert, wenngleich wenig überraschend ist auch, daß keiner dieser Filme in der französischen Gegenwart angesiedelt war; sie spielten im Ausland und/oder in einer früheren Zeit, im 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg (wie Renoirs „La Grande Illusion“ von 1937) oder im Mittelalter.
Im Gegensatz zur Darstellung von Juden im amerikanischen Film desselben Zeitraums, vor allem aber der vierziger und fünfziger Jahre, in denen Juden als die eigentlichen Amerikaner, als wandelnde Manifestationen der „Bill of Rights“ dargestellt werden („Gentlemans Agreement“) bleiben Juden im französischen Film immer das gänzlich andere – vielleicht bemitleidenswert, aber anders. Das französische Gegenstück zu „Gentlemans Agreement“ ist das Alain-Delon-Vehikel „Monsieur Klein“ von Joseph Losey aus dem Jahr 1975/76.
Häufig sind Kinder die Protagonisten
Das klassische Doppelgängermotiv, hier allerdings vom Romantischen ins Neuzeitlich-Bedrohliche gerückt: Ein Antiquitätenhändler, der gerade, 1942, einen Juden übers Ohr gehauen hat, der nicht anders konnte, als an ihn zu verkaufen, bekommt eine jüdische Zeitung für einen gewissen Robert Klein zugestellt. Als er den „Irrtum“ aufklären will, zieht sich die Schlinge um ihn zu. Robert Klein – kein anderer.
In den Jahren 1945 bis 1958 sind Juden praktisch gänzlich aus dem französischen Kino verschwunden. Selbst Alain Resnais „Nuit et Brouillard“ (1955), filmisch ein Vorläufer zu den kreisenden Landschaftsaufnahmen in Claude Lanzmanns „Shoah“, spricht kaum über die Juden, sondern immer über die „Millionen“, „den ewigen Schrei“. Um so kostbarer erscheinen da Trouveillen wie die beiden jiddischen Dokumentarfilme „Notre Avenir“ von 1945 und „Nous continuons“ von 1946, die die Arbeit der „Union Populaire Juive du France“ vorstellen, die mit den verwaisten Kindern der Deportierten arbeiten – den Blick stets auf Palästina gerichtet. Im ersten Film lernen sie noch Hebräisch, im zweiten noch Jiddisch und Französisch – der erste beschreibt das Überleben der Kinder eben eher als zionistisches Anliegen, der zweite hat die Diaspora noch nicht aufgegeben.
Das Merkwürdige ist, daß auch Jahre später noch immer wieder Kinder die Protagonisten in Filmen mit jüdischen Themen sind; als bräuchte man ein Unschuldspostulat, um überhaupt über einander reden zu können. Das gilt für Claude Berris „Der alte Mann und das Kind“ (1966), in dem französische Provinzler 1944 ein Kind aus der Stadt aufnehmen, von dem sie erst später erfahren, daß es jüdisch ist. Das gilt natürlich auch für „Auf Wiedersehen Kinder“ von Louis Malle, dessen dramatischer Höhepunkt die Verhaftung des katholischen Priesters ist, bei der Julien, der elfjährige Protagonist, seinen Freund Bonnet versehentlich durch einen Blick als Juden verrät.
Für die meisten Regisseure der Nouvelle Vague war das Thema zunächst nicht interessant; Jean- Marie Straub und Jean-Luc Godard wandten sich, einige Jahre nachdem Claude Lanzmann seinen Film „Pourquoi Israel“ fertiggestellt hatte, dem israelisch-arabischen Konflikt zu, auf einigermaßen bornierte Weise. Hast du nicht gesehen, wird der Antisemitismus den antiarabischen Ressentiments der Siedler entgegengestellt. Neben „Pourquoi Israel“ ist in der Reihe auch ein zweiter Vorläufer von „Shoah“ zu sehen, Marcel Ophuls „Le Chagrin et la pitié“, der um das Schicksal des Ministerpräsidenten der 4. Republik ein ganzes Netzwerk aus Denunziation, Verfolgungstechniken, Widerstandsversuchen und der späteren Reflektion zeigt. Die Chansons: Maurice Chevalier und Georges Brassens.
Auch Claude Chabrol, von dem man das irgendwie nicht so erwartet hätte, drehte 1993 einen Film zum Thema: „L'oeil de Vichy“ ist um so erstaunlicher, als es vor allem eine Montage aus Wochenschauberichten der Kriegsjahre ist, hinter die der Regisseur bescheiden zurücktritt. Sein Anliegen ist, Frankreich zu zeigen, wie Petain & Co. wollten, daß man es sieht.
Die beiden heimlichen Stars des Programms sind zwei höchst interessante Aktualitäten: „Minna Tannenbaum“ ist einer der wenigen Filme, in denen Jüdisch-Sein die amerikanische Definition von „Ethnicity“ erhält. Er entwickelt zwei Mädchen-Biographien parallel: die von Minna, einer aschkenasischen Tochter von Holocaust- Überlebenden, und die von Ethel, einem dicken, gutgelaunten Kind orientalischer Juden.
Schule, Pubertät, Dalida-Chansons. Immer ist die Depression auf Minnas Seite, die Malerin wird, während Ethel sich mit Hilfe von allerhand Tricks Zugang zum Journalismus verschafft. Interessant, wie sich hier alte Dichotomien wieder reproduzieren, wie man sie auch in Israel, aber eben vor allem in Frankreich mit seinem großen Anteil maghrebinischer Einwanderer immer wieder trifft: auf der einen Seite die düsteren, ausgemergelten, vergeistigten, lebensuntüchtigen „Ghetto-Juden“, auf der anderen Seite die etwas primitiven, aber glücklichen, berechenbaren, triebgesteuerten Sepharden. Im Subtext liegt durchaus, wie die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch am Rande der Reihe bemerkte, ein lesbisches Melodram.
„Moi Ivan, Toi Abraham“ von Yolande Zauberman ist der bislang vielleicht intelligenteste Versuch, das Jiddischland im Osten zu reanimieren, ohne sentimental oder pseudodokumentarisch zu werden. Um das überhaupt zu können, ist der Film im „Davor“ angesiedelt, in den dreißiger Jahren. Wieder eine Kindergeschichte: zwei Zwölfjährige entfliehen dem Shtetl, wo zuviel Gebet war und zuwenig freies Geleit, und ziehen aufs Land, ins Heu. Während Abraham und sein Freund Ivan zurückkommen, um das Shtetl von den Bauern verwüstet und ihre Familie verschwunden zu finden, gehen Abrahams Schwester Rachel und ihr Liebster nach Paris: „Von jetzt an“, sagt sie ihm einigermaßen fröhlich, „werden wir immer einen Akzent haben.“
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