Wertediskussion in Teheran mit Hardlinern

■ Die Teilnehmer des Deutsch-Iranischen Menschenrechtsseminars beurteilen die Ergebnisse unterschiedlich / Mißstände im Justizwesen im Mittelpunkt

Bonn (taz) – „Die Regierung in Teheran steht wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Die Bevölkerung ist unzufrieden – und das Regime entschlossen, seine Macht mit Gewalt zu erhalten“, resümiert Professor Udo Steinbach, Leiter des Deutschen Orientinstituts in Hamburg, seinen jüngsten Iran- Besuch. In der vergangenen Woche führte er eine fünfzehnköpfige deutsche Delegation nach Teheran, zum „Vierten Deutsch-Iranischen Menschenrechtsseminar“. Gastgeber war das iranische Außenministerium, die treibende Kraft jedoch das Hamburger Institut, das dem Auswärtigen Amt (AA) in Bonn zuarbeitet.

Seit 1988 haben vier Seminare dieser Art stattgefunden, abwechselnd in der Hansestadt und in Teheran. Bisher hatten sich die Gespräche vor allem auf theologisch- abstrakter Ebene bewegt. Dieses Mal sollte es um die konkrete Menschenrechtspraxis gehen. Steinbach holte sich vor allem Juristen in die Delegation. Der politische Charakter der Reise zeigte sich daran, daß auch das AA mehrere Beobachter mitschickte, so den Leiter der politischen Abteilung, Theodor Wallau. Auf iranischer Seite nahmen hohe geistliche Funktionäre teil, darunter der Vizechef der Judikative, Hodschatolislam Karimi.

Bereits im Vorfeld hatten sich die Grenzen eines solchen Dialogs gezeigt: Da Steinbach und das AA darauf bestanden, einen Vertreter der im Iran unterdrückten Religionsgemeinschaft der Baha'i mitzunehmen, platzte ein erster, für Mai anberaumter Termin. Amnesty international (ai) sagte eine direkte Teilnahme ab. Die Internationale Liga für Menschenrechte gab zu bedenken, ob die Veranstaltung nicht ein Feigenblatt für die politische und wirtschaftliche Unterstützung Teherans durch die Bundesrepublik sei. In Deutschland lebende Exiliraner befürchteten, die Veranstaltung sei eine „Aufwertung des Regimes“ in Teheran.

Solche Vorwürfe wies Delegationsleiter Steinach pflichtgemäß zurück. Obwohl die iranische Presse hauptsächlich die „Statements der Mullahs“ und kritische Bemerkungen der Deutschen über die Zustände in Europa referiert habe, glaubt Steinbach an den guten Willen der Iraner: „Die politische Führung will eine Verbesserung der Beziehungen, und sie weiß, daß dies nicht ohne eine Wertediskussion geht.“

Kritischer äußert sich der Heidelberger Rechtsphilosoph Dr.Heiner Bielefeldt, über die Tagung: „Gegenüber dem Treffen in Hamburg 1992 war dies ein Rückschritt. Die liberalen Köpfe von damals – so der islamische Philosoph Abdol-Karim Soroush oder der langjährige Leiter der schiitischen Moschee in Hamburg, Mohammad Shabestari – sind gar nicht mehr aufgetaucht.“ Statt dessen hätten „Hardliner“ dominiert, darunter „sogar ein Blutrichter“, berichtet Bielefeld, der ai-Mitglied ist, aber ausdrücklich nicht im Auftrag der Menschenrechtsorganisation nach Teheran gereist ist. Einen Tag lang habe die iranische Regie die Deutschen kaum zu Wort kommen lassen. „Erst nachdem wir protestiert hatten, kamen auch unsere Anliegen auf den Tisch.“

Die iranische Seite bemühte sich um einen ideologischen Diskurs, in dem sie die kulturellen Unterschiede zwischen der islamischen Welt und dem Westen hervorhob und die Allgemeingültigkeit der UN-Menschenrechtsdeklaration in Frage stellte. Kopfschütteln auf deutscher Seite provozierte der Versuch von Hodschatolislam Mohammed Ali Taskhiri, das Prinzip der Menschenwürde in eine „angeborene“ und eine „erworbene“ Würde – erworben durch Frömmigkeit – zu unterteilen. Zwei weibliche Abgeordnete des iranischen Parlaments verteidigten die islamische Rollenverteilung der Geschlechter und meinten, daß in Wirklichkeit die Frau im sexuell freizügigen Westen ihre Würde verloren habe.

Die deutsche Delegation konzentrierte sich vor allem auf Mißstände im Justizwesen. Professor Paul Stelkens, Richter in Münster und Spezialist für Prozeßrecht, hat den Eindruck, daß die Rechtsstaatlichkeit Irans trotz einer „prima Verfassung“ fragwürdig sei. Zu denken gibt ihm, daß Geständnisse offenbar in Polizeihaft „erarbeitet“ würden.

Bestätigt wurden solche Vermutungen bei der Visite eines Gefängnisses in Istahan. Nach Auskunft von Teilnehmern wurde der Besuch teilweise inszeniert. Dennoch waren auch Gespräche mit Inhaftierten möglich. Mehrere von ihnen, darunter Todeskandidaten, gaben an, sie hätten noch nie einen Anwalt gesehen. Jens-Uwe Rahe