■ Schweizer Kaffeerahmdeckeli erobern die Welt
: In Benzin legen, dann glattwalzen

Konstanz (taz) – „Das ist endlich mal ein Trend, der nicht aus den USA kommt – sondern aus der Schweiz“, jubelt Thomas Hediger. Erst waren es nur Käse und Offiziersmesser. Dann kam die ausgeflippte Swatch-Uhr. Und jetzt das: Kaffeerahmdeckeli. Hediger, eigentlich Briefmarkenhändler in St. Gallen, verkauft von Jahr zu Jahr mehr von diesen kleinen Verschlüssen für Kaffeerahmportionen. „Ich habe schon Kunden bis nach Hamburg. Für die Deutschen ist das wie im Schlaraffenland hier. Die deutschen Deckeli werden zwar auch immer dekorativer – sind aber noch lange nicht so attraktiv wie die schweizerischen.“

Angefangen hatte es ganz harmlos: Vor rund 30 Jahren wurden bei der Neher AG (Alusuisse-Lonza) im thurgauischen Kreuzlingen zum ersten Mal Schutzfolien für Kaffeesahne mit bunten Bildchen bedruckt. Wer die kleinen Alus vor dem Mülleimer rettete, wurde zunächst oft wegen seines spießigen Kleine-Leute-Hobbys belächelt. Heute ist das Sammeln gesellschaftsfähig. Zehntausende Eidgenossen, oft in Vereinen wie dem Berner „Kaffee-Doppelcrème“ organisiert, bekennen sich offen zu ihrer Obsession.

Um die Sammelwut zu befriedigen, werden beinahe täglich neue Deckelserien herausgegeben. Ulrike Bühler, hauptberufliche Deckelidesignerin bei Neher, hat allein im letzten Jahr über 100 Serien gestaltet – jede Reihe mit jeweils 15 bis 40 Motiven. Die Großserie „Max und Moritz“ brachte es gar auf 90 Einzelbilder. „Und es werden immer mehr. Der Markt boomt zur Zeit sehr.“

Über Moral und öffentliche Ordnung wacht der Zentralverband schweizerischer Milchproduzenten in Bern, bei dem die Sahnebilder vor ihrer Veröffentlichung einzureichen sind. Pornographie zeigen deshalb die Alubilder nur ansatzweise: mäßig frivole Fotos aus den zwanziger Jahren, hie und da ein blanker Busen, eine Reihe „Der Kuß“. Im Prinzip seien aber der Phantasie so gut wie keine Grenzen gesetzt, erklärt Frank Schmidt von Alusuisse. Bloß: „Es gibt fast keine neuen Ideen mehr.“ Der Konkurrenzkampf zwischen den größten Schweizer Deckeliherstellern – Neher, NycO und Alcan – sei knallhart. „Werkspionage wird noch nicht direkt gemacht. Aber es gibt Leute, die ganz gerne in andere Grafikabteilungen schauen...“

Exemplare der derzeit teuersten Serie „Schattenspiele“ erzielen bei Auktionen 3.000 Schweizerfranken. Preistendenz: steigend. Normale Wald- und Wiesenblumendeckeli gibt es, sieht man von den raren Fehldrucken ab, meist billiger – in der Regel für etwa einen Franken pro Stück. Aber auch damit kann man ordentlich absahnen: Die im Kanton Bern, der helvetischen Deckelihochburg, angesiedelte Kade AG zum Beispiel wirft nicht nur eigene, „inoffizielle“ Serien auf den Markt, sondern vertreibt auch Sammlerzubehör wie Alben (möglichst edel, in Leder) oder Deckeliwalzen. Nur Experten können Neuauflagen von kostbaren Erstausgaben unterscheiden. Von der 5er-Serie, die das Massenblatt Blick herausgab (Stückpreis: 600 Franken), sollen schon Fälschungen im Umlauf sein.

Im allgemeinen sind Kaffeerahmdeckeli ein dankbares Sammelobjekt: gut zu putzen. Wirklich problematisch ist nur das Ablösen der Deckeli. Besonders die deutschen Verschlüsse sind da sehr sensibel: auch wenn man sich ihnen ganz sacht nähert – sofort zerreißen sie. Hier hilft Schweizer Know-how weiter: erst den Boden des kleinen Rahmkübelchens abschneiden, dann die Kaffeesahne ausleeren – und den Becherstumpf in Benzin legen, bis sich das Deckeli mühelos und unversehrt entfernen läßt. Martin Ebner