Herbststurm bei der "Weltwoche"

■ Statt des geplanten "Frühlingserwachens" bekam das renommierte Züricher Wochenblatt ein zaghaftes Reförmchen verordnet. Nach mißlungenem Aufstand der Jungen gibt's nur noch Redakteure über vierzig

Schweizer Frauen werden mit 62 Jahren pensioniert. Die Grand Old Lady der Deutschschweizer Wochenpresse, die Züricher Weltwoche, erreicht das stolze Alter im nächsten Herbst. Bis vor kurzem präsentierte sich die Dame in beneidenswerter Form. Mit der elastischen Formel „Autorenzeitung“ hatte das Chefredakteurs-Duo Rudolf Bächtold und Jürg Rampseck Erfolg. Im letzten Jahrzehnt stieg die verkaufte Auflage bis auf 113.000. In der Deutschschweiz mit ihren 3,5 potentiellen Millionen LeserInnen bedeutet das eine beachtliche Reichweite. Zum Vergleich: Die Zeit verkauft auf dem ungleich größeren deutschen Markt 483.000 Exemplare.

Politisch vermied die Weltwoche eine klare Linie. Die Mehrzahl der AutorInnen darf man als liberal bezeichnen. Doch leistet sich das Blatt auch immer wieder rechte Ausrutscher des Auslandsredakteurs Hanspeter Born. Die (links-)liberalen LeserInnen nehmen das überraschend gelassen hin.

Der Erfolg ist auch deshalb erstaunlich, weil das Wochenblatt zum Wanderpokal von Besitzern mit fragwürdigem Ruf avancierte. Der langjährige Verleger Max Frey war ein bevorzugter Adressat der Züricher Steuerfahnder. Sein Nachfolger Werner K. Rey entpuppte sich als Wirtschaftskrimineller, der auf den Bahamas einer Auslieferung an die Schweiz entgeht.

Der letzte in der Reihe, Beat Curti, der im Hauptberuf einen Lebensmittelkonzern dirigiert, mußte dieses Frühjahr als Weltwoche-Verleger in den Ausstand treten, weil er im bisher größten Bestechungsfall der Schweiz zu den Angeklagten gehört. Wie andere auch, hatte Curti denjenigen Züricher Chefbeamten, der für die Vergabe von Restaurantbewilligungen zuständig war, fürstlich bezahlt.

Verleger Curti hatte – noch bevor die fatale Bestechungsanklage publik wurde – ein bemerkenswertes Experiment initiiert: Er lud alle Redaktionsmitglieder unter vierzig ein, die Weltwoche neu zu erfinden. „Frühlingserwachen“ nannte sich die verschworene Gruppe, die ein Neukonzept erarbeitete, das längere Geschichten forcieren wollte.

Doch das Duo in der Chefredaktion mochte das „Frühlingserwachen“ so nicht einleiten. Als das reformierte Blatt Ende Oktober an die Kioske kam, war vom anvisierten Aufbruch fast nichts geblieben: ein unwesentlich verändertes Layout, ein gemischtes erstes Buch, dessen Funktion unklar ist, sowie ein wöchentlich anders gestaltetes thematisches Buch mit Namen „Jetzt“.

Für das erste „Jetzt“-Thema warb die Weltwoche in ganzseitigen Anzeigen mit der Schlagzeile „Zuviel Ausländer“. Mit Punkt. Nicht mit Fragenzeichen. „Ein Skandal“, kommentierte der Schriftsteller Manfred Züfle, Präsident der „Schweizer Autorinnen- und Autoren-Gruppe Olten“ in der WoZ: „Im Kampf um ZeitungsleserInnen ist kein Spruch mehr zu billig.“

Nachdem der Countdown für die erste neugestaltete Weltwoche unglaublich unorganisiert und chaotisch verlaufen war, formulierte die Gruppe „Frühlingserwachen“ am 27. Oktober ein Ultimatum: Entweder löse der Verlag die beiden Chefredakteure innerhalb von 24 Stunden ab, oder die Gruppe kündige. Noch am gleichen Tag akzeptierte der Verlag die Kündigung und forderte die acht Redakteure auf, ihr Schreibpult augenblicklich zu räumen. Während der ordentlichen Kündigungsfrist erhalten die Rebellen weiterhin ihren Lohn.

Den Mut zum Ultimatum gefördert hat der Umstand, daß die Berufsaussichten für schweizerische Medienschaffende schon lange nicht mehr so günstig sind wie zur Zeit. Nach dem Vorbild von Focus wollen die beiden größten Deutschschweizer Medienkonzerne im nächsten Frühling wöchentliche Nachrichtenmagazine lancieren: Die Tagesanzeiger- Gruppe Facts und Ringier ein Blatt mit dem Arbeitstitel Number one .

Das wiederum wird die Weltwoche zusätzlich unter Druck setzen, nachdem sich der Markt der Wochenpresse in den letzten 13 Jahren schon erstaunlich ausgeweitet hatte. 1981 entstand die linke WoZ, die eine stabile Auflage von 20.000 hat. Die 1987 gegründete SonntagsZeitung (SZ) des Zürcher Tagesanzeiger-Konzerns – mit 70 bis 80 investierten Millionen Franken das teuerste je in der Schweiz lancierte Medienprojekt – verkauft inzwischen 164.000 Exemplare, und das Wirtschaftsblatt Cash des Ringier-Konzerns weist nach nur fünf Jahren eine Auflage von 66.000 aus.

Die Weltwoche befindet sich damit in einer unangenehmen Sandwich-Position: Von der SonntagsZeitung überflügelt und vor allem auf dem Anzeigenmarkt bedrängt vom trendig aufgemachten Cash, das sich auf Polit-Geschichten verlegt hat. Derart eingeklemmt, stagniert die Weltwoche-Auflage neuerdings, und die offiziellen Reichweitenzahlen meldeten diesen Sommer einen Rückgang der LeserInnenschaft.

Im Moment füllt das Blatt seine Redaktion wieder auf, und kurzfristig bleibt alles beim alten. Doch ist kaum vorstellbar, daß das Duo Bächtold/Ramspeck das Blatt noch lange führen wird. Vielleicht findet das „Frühlingserwachen“ doch noch statt. Zum Beispiel im nächsten Frühling. Das wäre gerade noch rechtzeitig vor dem Erreichen des Pensionsalters. Jürg Frischknecht