■ Zum kalifornischen Gesetz gegen „illegale“ Einwanderer
: „Die Grenze, Señor ...?“

Ausgerechnet Amerika, jenes Land, das immer von Einwanderern lebte, zeigt sich intolerant? Ist dies die Botschaft jenes Volksentscheids Nr. 187 in Kalifornien, der illegale Immigration dadurch stoppen will, daß man Einwanderern und ihren Kindern staatliche Dienste versagt? Amerikaner haben die Immigranten nie sonderlich gemocht. Heute behaupten sie: „Es sind nur die Illegalen, die wir nicht wollen.“ Und Politiker warnen, „die Illegalen“ kämen wegen der Sozialhilfe. Aber die Kids auf der mexikanischen Seite sagen dir, daß sie Jobs suchen. Weder zitieren sie Thomas Jefferson, noch haben sie Ahnung von der Bill of Rights. Für die Leute in den Vororten von San Diego sind sie eine Zumutung, denn jede Nacht geistert die Dritte Welt durch ihre Rosengärten.

Spricht man von den „legalen Einwanderern“, vergißt man leicht, daß alle Immigranten Outlaws sind. Um Immigrant zu werden, muß man dem Vater und dem Dorf den Rücken kehren. Man bricht das Herz der Mutter. Der Immigrant ist zugleich Provokation für sein altes Bergdorf wie auch für die Welt der Vororte von Los Angeles. Als sich in den zwanziger Jahren der Staat Mexiko von den USA abgrenzen wollte, da machten sich die Bauern illegal auf den Weg in den Norden. Alle paar Monate kamen sie zurück, freiwillig oder per Zwang. Mit ihnen drangen die Legenden über Amerika in die Dörfer. Mehr als Pancho Villa, mehr gar als Zapata wurden die illegalen Einwanderer zu den großen Revolutionären Mexikos.

Wir Amerikaner wurden so etwas wie Shakespeares schüchterne Geliebte. Da stehen wir nun am Fenster und reiben uns erstaunt die Augen. Wir buhlen um die Welt, schalten Anzeigen über unseren Glamour, wir zeigen überall unsere strahlend weißen Zähne, und dann wundern wir uns, warum die Welt vor unserer Tür Schlange steht. Obwohl ein großer Teil der KalifornierInnen für das Anti-Immigranten- Gesetz stimmte, wird dies die illegale Einwanderung nicht beenden. Denn vor uns steht ein Jahrhundert, dessen große Frage sein wird: Was ist eine Grenze? Der illegale Einwanderer ist der mutigste unter uns. Er ist der modernste. Ein Prophet. „Die Grenze, Señor ...?“ sagt er und seufzt. Die Grenze ist eine Gefahr in der Dunkelheit, aber sie wird nicht halten. Längst hat der Bauer die Realität der Welt begriffen, lange vor den Leuten in den Suburbs. Richard Rodriguez

Mexikanisch-amerikanischer Autor; aus: „International Herald Tribune“ vom 17.11.