Die Rückkehr des Paten von Nizza

Nach vierjähriger Flucht kehrte der ehemalige Bürgermeister von Nizza gestern aus Uruguay zurück – direkt ins Gefängnis / Trotz aller Skandale ist seine Popularität ungebrochen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Bis zuletzt hatten „Liga Nissarda“ und „Unterstützungskomitees“ versucht, die Auslieferung von Jacques Médecin aus Uruguay nach Frankreich zu verhindern. Als jene Schlacht verloren war, stürzten sich die anständigen BürgerInnen von Nizza gleich in das nächste Engagement: Sie plakatierten „Jacques Médecin – willkommen in deinem Rathaus“ und überklebten Straßenschilder mit dem Namen des Ex-Bürgermeisters, der gestern nach vierjähriger Flucht wieder in Frankreich eintraf. In Siegerpose zeigte er sich den Fotografen – und verschwand doch sogleich in einem Polizeiwagen, der ihn direkt ins Gefängnis fuhr.

Zwei Verfahren – eines wegen Betrugs, eines wegen Bestechlichkeit – drohen dem 66jährigen in der nächsten Zeit: Als Bürgermeister von Nizza soll er öffentliche Gelder in die eigene Tasche gesteckt und vier Millionen Francs (ca. 1,2 Millionen Mark) Schmiergeld von der örtlichen Straßenschilderfirma „Serel“ kassiert haben. Wegen weiterer Affären wurde er entweder bereits in Abwesenheit verurteilt, oder es wird noch ermittelt.

Doch in der öffentlichen Meinung hat Médecin all das nicht geschadet. Der Mann, der Nizza 27 Jahre lang regierte und sich 1990 einem Haftbefehl entzog, indem er von einer offiziellen Japanreise nicht mehr heimkehrte, ist ungebrochen populär. Wie schon sein Vater Jean, der 38 Jahre lang Bürgermeister von Nizza war und von dem der Sohn den Posten „erbte“, ist er der Pate der Stadt. „Er ging auf die Straße, mischte sich unters Volk, jeder konnte ihn ansprechen, und er duzte alle“, schwärmt eine Frau aus dem Unterstützungskomitee. „Vielleicht war Jacques Médecin nicht immer ganz integer, aber welcher französische Bürgermeister ist das schon?“

Das Komitee und die „Liga Nissarda“ haben 12.000 Unterschriften für die Freilassung ihres Helden gesammelt – selbst im Beraterkreis des neuen konservativen Bürgermeisters von Nizza, Jean- Paul Barety, haben sie zahlreiche Unterstützer gefunden. Und wenn sie sich in den letzten Wochen versammelten, um die von Médecin in der uruguayischen Abschiebezelle aufgenommenen Kassetten andächtig abzuhören, kam ein beachtlicher Fankreis zusammen. Von den „wurmstichigen Politikern“ und dem „Komplott der Linken“ spricht er in den Kassettenreden, von den „verweichlichten und kraftlosen“ anderen Politikern, vor allem den konservativen. Médecin vertraut nicht auf Parteien, sondern auf sein persönliches Charisma und seine Familientradition – und teilt, wie er einmal erklärte, 99 Prozent der Thesen der rechtsextremen Front National (FN).

In Uruguay kam Médecin schnell auf die Beine: Er kaufte sich im Nobelbadeort Punta del Este eine Strandvilla, handelte mit Immobilien, gründete ein Unternehmen für Inneneinrichtungen, importierte Spielzeug, Uhren, Kugelschreiber und Satellitenantennen und handelte mit T-Shirts.

Hemdsärmelig, polterig und selbstbewußt erklärte Médecin vor seiner Auslieferung, sollte er nach Frankreich zurückkommen, werde er wieder Politik machen. Im nächsten Jahr plant er gleich zwei Kandidaturen: Erstens will er sich um das Amt des Staatspräsidenten bewerben und zweitens um das des Bürgermeisters von Nizza.