Geburtstag

■ Fanny Müller:

Geburtstag. Halb acht Uhr morgens. Wir haben reingefeiert. Das Telefon klingelt. Mutter: „Herzlichen Glückwunsch! – Stell dir vor, wir haben Knuffel gestern zum Tierarzt gebracht, Lungenemphysem auf beiden Seiten! Links mehr von oben (Vaters Stimme im Hintergrund „Rechts mehr vom Magen her...“??) Und weißt du, wer sich verlobt hat? Elli! Mit Ernst Klintworth! Dabei ist der vier Jahre jünger als sie!“ Ich weise Mutter nicht darauf hin, daß mein Freund neun Jahre jünger ist als ich, was sie weiß, aber wir werden uns ja auch nicht verloben, was sie nicht zu wissen vorgibt. „Wir haben dir eine Wärmeplatte geschickt, für auf den Tisch zu stellen. Aber nicht, daß die ganze Wohngemeinschaft die wieder benutzt!“ Ein Angetrauter dürfte damit machen, was er wollte, sie mir sogar an den Kopf schmeißen, solange er nicht saufen und das Geld nach Hause bringen würde. Übrigens brauche ich eine Wärmeplatte so dringend wie ein Lungenemphysem.

„Oma hat dir ein Paar Socken gestrickt, die habe ich gleich mit eingepackt.“ Ein Lichtblick! Oma ist halb blind und wählt deshalb unorthodoxe Farbzusammenstellungen, die mir aber zusagen. „Was hast du denn sonst so gekriegt?“ Was soll ich bloß schnell sagen – die WG hat mir unter endlosem albernen Gelächter ein, wie sie es bezeichnete, Ganzkörperkondom überreicht. Einen Pullover mit Kapuze und Beinen und vorne draufgestickt: „Gib Aids keine Chance“. „Ein paar gute Bücher“, stottere ich, „eins von...“ „Das ist ja schön“, unterbricht Mutter, „Tante Friedchen läßt auch grüßen. Letzten Freitag hatte sie ja sonne Art Hexenschuß, und da haben sie ihr in der Apotheke nur Dolvian gegeben. Da hat sie dann abends die Spasmo-Soundso-Zäpfchen von dem Hund genommen und was glaubst du – die haben geholfen!“ Das wundert mich nicht, denn Tante Friedchen und ihr Pudel sind sich ziemlich ähnlich, zumindest was die Frisur und das Temperament betrifft. Aber Mutter ist schon weiter: „Onkel Albert ist ja nun auch weggefahren, die ham ja alles vertuscht...“ Das wußte ich noch nicht – Onkel Albert ein Verbrecher?

Langsam werde ich jetzt doch wach. Es stellt sich jedoch heraus, daß es eigentlich um Karl Tiedemann geht, der die Kasse vom Schützenverein veruntreut und dadurch die Gefahr heraufbeschworen hatte, daß der Ausflug zum Hermannsdenkmal nicht stattfindet. Albert und der Schlachter und der Lehrer haben aber vorgeschossen und Karl stottert nun in kleinen Raten ab. Weiterhin erfahre ich, daß die Brombeeren dieses Jahr reichlich getragen haben, daß es das beste für Oma Wiebusch war, daß sie nun endlich gestorben ist und daß die Dahlienknollen schon aus der Erde sind und verpackt im Keller lagern. – „Und jetzt erzähl du mal!“ – Ich? Erzählen? Was denn? In Hamburg ist ja wirklich nie was los.