Bauboom an der Küste

In Chile verschandeln immer mehr Betonburgen für Touristen die wunderschöne Landschaft. An einem 70 Kilometer langen Küstenstreifen bei der nordchilenischen Stadt La Serena sollen 1,45 Milliarden Dollar verbaut werden  ■ Von Jens Holst

Der chilenische Wirtschaftsboom hat auch die Ferienindustrie ergriffen. In den Urlaubszentren des Landes entstehen modernste Hotelanlagen mit höchstem Standard, ehemals unscheinbare Orte verwandeln sich in mondäne Sommerbäder. So wurde der gesamte Strand der nordchilenischen Stadt La Serena durch phantasielose Apartmenthäuser verschandelt, als ob es das höchte Ziel wäre, die Architektur der Costa del Sol nachzubauen. An der Küste von 70 Kilometer Länge werden in den nächsten Jahren insgesamt 1,45 Milliarden US-Dollar verbaut, um betuchten ChilenInnen und ArgentinierInnen ein Urlaubsparadies bieten zu können, das jeden Vergleich mit den abschreckendsten Betonburgen der Mittelmeerküste aushält. Die Preise in diesem Gebiet liegen mittlerweile über denen von Miami oder anderen US- amerikanischen Ferienorten. In dem klassischen Urlaubsgebiet um Viña del Mar werden in nächster Zukunft immerhin 600 Millionen US-Dollar im Tourismusbereich investiert. Die gesundheitsgefährdende Wasserverschmutzung durch die umliegenden Fabriken und den größten Hafen Chiles im benachbarten Valparaiso ist für UrlauberInnen offenbar kein Thema.

Der Vorsitzende der zuständigen Behörde „Sernatur“, Eugenio Yunis, meinte voll Optimismus, „vier Jahre eines nachhaltigen und teilweise spektakulären Wachstums haben die Tourismusbranche zwischen 1990 und 1993 zum vielleicht erfolgreichsten Wirtschaftszweig Chiles gemacht.“ Und das will etwas heißen im Land mit den höchsten Wachstumsraten in Lateinamerika. Das Ende der Diktatur von General Pinochet hat Chile wieder für den internationalen Tourismus salonfähig gemacht. Wäre Yunis ehrlich, müßte er allerdings zugestehen, daß der Grundstein für den Aufwind in der Reisebranche ebenso wie im Exportgeschäft in den letzten Jahren der Militärdiktatur gelegt wurde. Seine Vorgängerin Margarita Ducci betonte bereits 1989 das vorrangige Interesse Chiles am internationalen Tourismusmarkt, auf den das langgestreckte Land mit seinen Gletschern, Seen und Wüsten seit langem drängt.

Die Zielgruppe hat sich allerdings in den letzten Jahren geändert. Die Werbung vergangener Jahre sprach gezielt ausländische UnternehmensvertreterInnen an, denn außer einigen Politfreaks reiste während der Militärdiktatur kaum jemand nach Chile: In einer Sernatur-Broschüre von 1989 ist das nachzulesen: „Eine normale Geschäftsreise nach Chile kann Ihnen, sofern Sie dies wünschen, eine hervorragende Gelegenheit bieten, unbekannten Abenteuern nachzugehen, Sie können Fjorde und Kanäle durchschiffen, die Geheimnisse einer der dürrsten Wüsten der Welt kennenlernen, die Antarktis erkunden oder sich mitten im europäischen Winter am Strand aalen.“ Wie überall in der chilenischen Wirtschaft war auch hier Diversifizierung angesagt, Chile bietet sich auf den großen Tourismusmessen der Welt einem breiten Publikum an. Die Erfolge bleiben nicht aus: Gegenüber 1989, dem letzten Jahr der Militärherrschaft, verdoppelte sich die Zahl ausländischer Gäste, die Deviseneinnahmen aus dem Tourismus belaufen sich mittlerweile auf 800 Millionen US-Dollar pro Jahr.

Die mit Abstand meisten ausländischen BesucherInnen kommen zwar nach wie vor aus dem Nachbarland Argentinien, gefolgt von PeruanerInnen und BolivianerInnen, aber wie fast überall auf der Welt nehmen die Deutschen unter den TouristInnen aus der Alten Welt den ersten Platz ein. Die Zahl der teutonischen Chile-Reisenden lag im letzten Jahr über 30.000, fast doppelt so viele wie 1989.„Für die Europäer gibt es drei Hauptreiseziele“, erklärt Yunis. „Neben Patagonien mit dem Nationalpark ,Torres del Paine‘ sind das die südchilenische Seenplatte und die Atacama-Wüste. Und natürlich die Hauptstadt, wo die meisten Fernreisenden ankommen.“

Wer im modernen Chile etwas auf sich hält, fährt in das Thermalbad Coñaripe an der Ostspitze des Calafquén-Sees, das mit luxuriösen Hotelanlagen und komplettem Urlaubsservice aufwartet. Am benachbarten Villarrica-See liegt Pucón. Vor wenigen Jahren war es ein verschlafenes Dorf für SommerfrischlerInnen. Mittlerweile hat es sich zum mondänen Ferienort gemausert. Vor dem Hintergrund des pausenlos vor sich hinrauchenden Villarrica-Vulkans nistete sich hier die neureiche Schickeria ein, die beim chilenischen Aufschwung kräftig abgesahnt hat. Die Region ist ein Eldorado für FreundInnen des Wildwasser-Rafting, entsprechende Touren werden auf nahezu allen Gebirgsbächen der Umgebung angeboten. Für BesucherInnen aus Europa oder Nordamerika ist dieser Ort in erster Linie als Ausgangspunkt für eine Besteigung des Villarrica-Vulkans interessant. Der anstrengende, mehrstündige Aufstieg wird mit einem imposanten Panoramablick vom Rand des Kraters belohnt, aus dessen Tiefe unaufhörlich gelbe Schwefeldämpfe emporsteigen: Im Westen schimmert der Pazifik, in östlicher Richtung zeigen die Gipfel der Vulkane den Verlauf der Grenze nach Argentinien.

Der Tourismus ist in erster Linie ein Geschäft. In dieser Beziehung haben die Torres del Paine und San Pedro de Atacama trotz der riesigen Entfernung von mehr als 3.500 Kilometern etwas gemeinsam: Die BesucherInnen dieser beiden Höhepunkte der chilenischen Geographie müssen nicht länger auf den gewohnten Luxus verzichten. Mitten in den jeweiligen Naturschutzgebieten wurden die Hotels Explora Patagonia und Explora Atacama aus dem Boden gestampft, teilweise gegen den Widerstand der örtlichen „Conaf“- Gruppen. Die Preise für Doppelzimmer beginnen bei 260 US-Dollar, nach oben sind kaum Grenzen gesetzt. Angesichts derartiger Verdienstmöglichkeiten müssen ökologische Gesichtspunkte einfach zurückstecken.