■ Geschichte eines Konfliktes:
: Sri Lanka

„Eine Mehrheit mit einem Minderheitenkomplex, eine Minderheit mit einem Mehrheitskomplex“: So pauschal die in Sri Lanka immer wieder gehörte Charakterisierung der Singhalesen (74 Prozent) und Tamilen (18 Prozent) ist, kennzeichnet sie dennoch weitgehend die Geschichte des Landes seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1948. Mit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft und der Einführung eines demokratischen Systems setzte sich allmählich auch der singhalesische Mehrheitswillen durch: Singhala wurde Nationalsprache, der Buddhismus Nationalreligion, SinghalesInnen genossen Vorzugsbehandlung gegenüber den Minderheiten. Diese Entwicklung richtete sich vor allem gegen die Tamilen, deren Stolz und Zielstrebigkeit, so der Vorwurf der Singhalesen, von den Briten einseitig gefördert worden seien.

Die tamilische Elite nahm das parlamentarische System an. Doch keine der kommenden Regierungen löste das Versprechen einer föderalistischen Staatsorganisation ein. Im Gegenteil: Nach dem Aufstand der linksnationalistischen Partei JVP im Süden wurde die Macht der Zentrale 1971 noch verstärkt. Und als Präsident Jayewardene 1983 von jedem Abgeordneten einen persönlichen Eid auf die Verfassung forderte, zwang dies die gemäßigte „Tamil United National Front“ (TULF) zum Rückzug aus dem Parlament. Daraufhin entschlossen sich viele der rund 35 tamilischen Organisationen zum bewaffneten Kampf. Und sie sahen sich in ihrer Haltung bestärkt, als im gleichen Jahr in Colombo Unruhen ausbrachen, die zahlreichen Tamilen das Leben kosteten.

1985 wurde in Jaffna TULF-Führer A. Amirthalingam ermordet. Das Attentat wurde den „Liberation Tigers“ der LTTE zugeschrieben. Durch weitere rücksichtslose Säuberungen setzte sich die LTTE bald an die Spitze des bewaffneten Kampfs. Auch der indischen Invasionsarmee gelang es 1987 nicht, sie zu entwaffnen. Der Plan, ein tamilisches Autonomiegebiet durch die Verschmelzung der Nord- und Ostprovinzen zu schaffen, mißlang. Der LTTE reichte dies nicht, Colombo aber ging es zu weit.

Militärisch besteht heute ein Patt: Im Osten und Norden des Landes beherrscht die Armee Städte und Verbindungsstraßen; lange Küstenstreifen und die Dschungel im Innern gehören der LTTE. Tagsüber regiert die Armee, nachts herrschen die Tiger. Dasselbe gilt für Colombo: Der Wirtschaftsboom zieht Wolkenkratzer in die Höhe, gleichzeitig jagen Selbstmord- Bomber fast nach Belieben Repräsentanten des Staates in die Luft. Die gewalttätigen Methoden haben die Guerilla militärisch gestärkt, aber sie haben die ethnische Polarisierung gebremst. Ein Großteil der Tamilen distanziert sich heute von der LTTE. Und viele Singhalesen unterscheiden sorgfältig zwischen der LTTE und der tamilischen Minderheit.Bernard Imhasly