■ Zu den Diskussionen um Schwarz-Grün
: Eine neue Farbenlehre?

Partei und Reform, ein von den sechziger bis in die achtziger Jahre intensiv gedachter Zusammenhang, löst sich in Nichts auf. Für die einen bedeutete es Gefahr, für die anderen Hoffnung; heute ist es keines von beidem mehr. In den USA beenden die WählerInnen die gerade begonnene Reform, die sie wenige Zeit zuvor ermöglicht hatten. In Deutschland haben wir ein Machtgleichgewicht, aber keine Reformalternative.

Was macht man eigentlich als Reformpartei in Zeiten, die auch ohne sie auskommen? Nun müßte man den langen Atem, den man für die Reform brauchte, haben, um über viele Jahre auch nur eine Reformregierung vorzubereiten. Die Grünen arbeiten seit 1983 daran. Der jüngste Aufsatz über sie trägt den Titel „Das Ergrauen der Grünen“.

Noch bevor die Grünen davon sprechen konnten, „gemeinsam“ mit den Sozialdemokraten in Bonn die Opposition zu bilden, erklärte Scharping: „In der Opposition gibt es keine Koalitionen.“ In seinen „analytischen Anmerkungen“ zur Bundestagswahl schreibt der ehemalige sozialdemokratische MdB und Staatssekretär Albrecht Müller:

„Über weite Strecken des Vorwahlkampfes war der Umgang mit den Bündnisgrünen so, wie das bürgerliche Lager dies gefordert hat: aggressiv und versehen mit heftigen Attacken zur Regierungsfähigkeit der Grünen. Wenn man sich zum Mit-Förderer solcher Kampagnen gegen Rot-Grün macht, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn das Gesamtpotential von SPD und Bündnis 90/Die Grünen am Ende nicht reicht. Die SPD hat so leider auch in diesem Vorwahlkampf mitgeholfen, zur Stigmatisierung eines potentiellen Partners beizutragen. Im zweiten Teil des Wahlkampfes war dies dann sonderbarerweise verschwunden.“ Diffamierung des potentiellen Partners und Opportunismus als Vorboten eines Reformbündnisses?

Was also macht man im Vorregierungsstand? Man kann den Marsch durch die Institutionen, von unten nach oben, fortsetzen. Kommune, Land und, wenn eines Tages das Netz dicht genug ist, auch in Bonn. Die Faszination eines Mottos, das heißen könnte: „Wir rackern so lange in den Institutionen, bis wir in ihnen wohnen.“ Immerhin die klassische Strategie, die Macht in Bonn (zurück-) zu erobern.

Als „neue Beweglichkeit“ und um das Elend der Opposition zu verkürzen, reizt es einige, die schwarz-grüne Karte zu spielen. Demokratisch wertvoll ist dies, wo es darum geht, das Linksmonopol- und Machtdenken der SPD aufzubrechen. Das gilt in Gladbeck, Mülheim und beim Bonner Vizepräsidenten-Deal.

Bei einer dauerhaften Strukturschwäche der SPD und einer CDU-Hegemonie wie in Baden- Württemberg könnte Schwarz- Grün ein Diskussions- und Prüfpunkt, eventuell auch eine primär durch die Verhältnisse, nicht den eigenen Willen zur Macht erzwungene Koalition sein. Unter solchen Bedingungen käme alles auf die Konfliktfähigkeit an, die man selbst sich und anderen zutraut. Begänne man eine solche Koalition als stimmenbeschaffender, konfliktvermeidender Juniorpartner, sollte man sie lieber gleich lassen. Es würde den Bündnisgrünen insgesamt schaden.

Für die Gesamtgrünen gibt es noch immer keine Alternative zu Rot-Grün. Aus drei Gründen: Erstens ist die gemeinsame programmatische Schnittmenge in für die Bündnisgrünen wichtigen Fragen mit der SPD ungleich größer als mit der CDU oder gar der CSU. Zweitens definiert sich die Identität bündnisgrüner WählerInnen nicht zuletzt über die Selbsteinstufung als Links und durch die Gegnerschaft bzw. Abgrenzung zu CDU/CSU. Dabei ist nicht der zurechtgedachte, sondern der real existierende Konservativismus im Blick. Und der ist eben in seinen bestimmenden Schichten durch Struktur-, nicht durch Wertkonservatismus charakterisiert (und, wo vorhanden, ist der moralische oft stärker als der ökologische Wertkonservatismus).

Schließlich bedeutet die verschärfte Linkskonkurrenz der drei oppositionellen Bundestagsparteien für die Bündnisgrünen die Gefahr einer Abwanderung von WählerInnen bei übermäßiger Aufmerksamkeit für die politische Mitte. Studien zeigen, daß sich die ideologische Distanz gegenüber den Bündnisgrünen bei den jüngeren Grün-WählerInnen verstärkt. In großstädtischen und/oder universitären Milieus bleiben sie zu Hause oder haben begonnen, zur Gysi-PDS abzuwandern. Auch in Ostdeutschland gibt es auf WählerInnen-Ebene eine gemeinsame Schnittmenge zur dort erfolgreichen regionalen Protestpartei.

Es wäre ein Fehler der Bündnisgrünen, sich in abstrakte Koalitionsdebatten verstricken zu lassen. Rot-Grün ist eine pragmatisch zu begründende, auch über lange Durststrecken durchzuhaltende Maxime, die das grüne Gesamtinteresse am besten ausdrückt und prinzipiell das größte Reformpotential aufweist. Nur in sehr gut begründeten Einzelfällen sollte man davon abweichen.

Attraktivität können die Bündnisgrünen heute weder mit rot-grünen noch mit schwarz-grünen Debatten gewinnen. Eher schon mit kraftvoller, eigenständiger Opposition in Bonn. Möglicherweise auch mit zwei Projekten, die der Vernetzung und Profilierung der gesellschaftlichen Alternativen auch dann nützen, wenn Rot-Grün in Bonn an der SPD scheitert. Die aber auch der Partei selbst neue Anziehungskraft vermitteln könnten, bevor sie in den Parlamenten versackt: Die Erarbeitung eines Grundsatzprogramms und der Brückenschlag einer Rahmenpartei in die Gesellschaft hinein wären zwei solche Projekte.

Die Bündnisgrünen haben immer noch kein Grundsatzprogramm, das diesen Namen verdient. Viele Grundprobleme würden gerade in der jetzigen Umbruchphase einen Klärungsschub gut vertragen: die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft, Zentralität und Dezentralisierung, Solidarität und Vielfalt oder die immer noch nicht benannte Vision wünschenswerter Gesellschaft auf einer mittleren Abstraktionsebene („neues Wohlstandsmodell“, „ökologische Modernisierung“, „strukturelle Ökologisierung“). Solche Grundsatzdebatten erneuern Konsens und Kompetenz, sie können ausstrahlen und Klarheiten schaffen, von denen sich in Zeiten des Handelns leben läßt.

Bezogen auf die professionellen Kapazitäten ihres gesellschaftlichen Umfeldes sind die Bündnisgrünen eine Partei der Ressourcenverschleuderung. Sie sind zwar – mangels Masse aktiver Mitglieder – abgemagerte Rahmenpartei, aber sie haben die Kunst einer solchen Parteiform noch nicht entwickelt, sich auf korrespondierende gesellschaftliche Gruppen zugleich als einzubeziehendes Kreativpotential wie auch als Klientel zu beziehen, die durch Interessenpolitik in den heute nur noch möglichen lockeren Formen zu binden ist. Ein solcher Brückenschlag könnte die Bündnisgrünen in die Gesellschaft zurückführen. Joachim Raschke

Professor für Politische Wissenschaften in Hamburg