Als wär's ein kleines logistisches Planspiel

■ In Bonn brauchte ein Ministeriumsbau zehn bis fünfzehn Jahre, in Berlin soll es doppelt so schnell gehen: Gerade diese Hektik könnte zu Verzögerungen führen

Wenn Joachim Künzel, Referatsleiter im Hauptstadtbüro der Berliner Senatskanzlei, über den Stand der Planungen für Regierung und Parlament sowie den Umzugstermin vom Rhein an die Spree im Jahr 2000 nachdenkt, wird ihm nicht bang. „Wenn alles gut läuft, steht das meiste schon 1999.“ – „Dramatische“ Probleme bei den Baumaßnahmen dürften allerdings nicht auftreten. In erster Linie denkt der Hauptstadtbüroleiter an die Koordination des kapitalen Bau-Molochs mit den Auto- und Eisenbahntunnel, die den Tiergarten unterirdisch kreuzen.

Wirklich Sorgen bereitet Künzel der von Bonn gewollte Neubau für das Auswärtige Amt auf der zentralen Spreeinsel. Die Unklarheiten über die inhaltliche Besetzung der Mitte Berlins und die Debatte um den Abriß oder Erhalt des Staatsratsgebäudes verhinderten zügige Planungsstrategien. Wenn dies nicht geklärt würde, sei fraglich, ob das Außenamt bis 1999 am „Schloßplatz“ stehen könnte. Kinkel besteht auf ein Büro mit Blick auf den Platz. „Es geht nicht an“, erklärte gestern wieder ein Beamter des Auswärtigen Amts der Berliner Zeitung, „daß der Außenminister im Hinterhof des Ex- Staatsrats amtiert.“ Berlins Bausenator Wolfgang Nagel plädiert jedoch für den Erhalt des Gebäudes.

Am Spreebogen gibt es weniger politischen Streit. In der neugegründeten Bundesbaugesellschaft Berlin (BBB), die die dortigen Bauvorhaben organisiert, liegen die Konturen der Hauptstadt bereits auf dem Reißbrett. Generalstabsmäßig werden die Auslobungen, Planungs- und Bauzeiten aufeinander abgestimmt, als handle es sich beim Bau des neuen Regierungsviertels um ein kleines logistisches Planspiel. „Natürlich muß die Planung wie am Schnürchen klappen, wenn der Bundestag wie verabredet in der 14. Legislaturperiode umziehen will“, betont Claudia Lehmhoefer, Pressechefin der BBB. Obwohl es bis auf den Reichstag noch keine definitiven Termine für den Beginn der Baumaßnahmen gebe, liege die BBB „voll in der Zeitschiene“.

Philosophie des Machens statt des Machbaren

Nach dem gerade entschiedenen Bauwettbewerb „Alsenblöcke“ sollen im östlichen Spreebogen Baumassen für über eintausend Parlamentarierbüros ab 1997 hochgezogen werden. Auch der zweite Bürokoloß neben dem Reichstagsgebäude mit rund 2.500 Räumen könnte 1997 in die Realisierung gehen. Das Wettbewerbsergebnis für das Kanzleramt verkündet Kohl noch im Dezember 1994: Baubeginn 1996, gleichzeitig mit dem neuen Bundespräsidialamt.

„In Bonn wurde kein Ministerium in weniger als zehn Jahren fertiggestellt“, mahnt der Architekt Meinhard von Gerkan – Probleme mit der Finanzierung, den Ansprüchen der Parlamentarier und letztlich die Planungen selbst hätten flottere Realisierungen verhindert. In Berlin dagegen sollen noch viel größere Bauten in einem Drittel bis der Hälfte der Zeit fertiggestellt werden. Anstelle einer Philosophie des Machbaren herrscht bei den hauptstadteuphorischen Politikern und Planern derzeit die Philosophie des Machens. Stein auf Stein, Bau neben Bau werden projektiert, ohne zu fragen, was passiert, wenn ein Dominosteinchen im Planspiel nicht paßt, sich verzögert, zu teuer wird und ausfällt.

Der „Herrschaft der Logistik“, wie der Architekturkritiker Dieter Hoffmann-Axthelm meint, mangele es an zeitlichen Puffern, um Atempausen einzuplanen. Denn parallel zum Bau der Regierungsgebäude und den beiden Tunnelröhren ist am Spreebogen noch vorgesehen, 700 Parlamentarier- Wohnungen, einen riesigen Zentralbahnhof mit Geschäftsviertel, Ländervertretungen und neue Diplomatenunterkünfte zu schaffen.

Die Hauptstadtneurotiker in Bonn und Berlin aber sind in ihrer Baugigantomanie befangen und weigern sich, aus Fehlern und Erfahrungen zu lernen: Die BBB läßt keine Zweifel aufkommen, daß das Reichstagsgebäude rechtzeitig im Techno-Look umgebaut sein wird. Ist das realistisch? Schon der zähe Streit um die Rekonstruktion der historischen Kuppel oder das Fostersche Flachdach brachte Verzögerungen. Foster korrigierte nach der Debatte die angedachte Reichstags-Wiedereröffnung von 1998 auf 1999, weil die Fesseln der Zeit zu eng gezurrt waren.

Die Macher-Philosophie verhindert insbesondere ein „sukzessives Kennenlernen zwischen Bonnern und Berlinern“, wie Engelbert Lütke-Daldrup, Hauptstadtplaner beim Berliner Bausenator, findet. Statt über Umzugsprozesse zu reden, unterhalte man sich über Sicherheitsaspekte – etwa den „50-Meter-Handgraten-Wurfabstand“ zu den Bauten. „Als ginge es um den Umzug eines mittelständischen Unternehmens“, meint Senatsbaudirektor Hans Stimmann, „werden vor allem technisch-logistische Aspekte erörtert und wertvolle Zeit verbraucht. Bis heute wird ein ,Stichtagsumzug 2000‘ propagiert.“ Stimmann hält es für „naiv“, ein Bau- und Umzugskonzept so zu entwickeln, weil unvorhersehbare politische und wirtschaftliche Ereignisse nicht bedacht würden. Zudem verhindere eine solche Strategie die „Annäherung zwischen Stadt und Staat“.

Es hätte schnellere und billigere Wege gegeben

So stellen sich die Regierungspläne als eine Kombination von Größenwahn und Hektik dar, die einen pünktlichen Umzug eher verhindern als beschleunigen werden. Bei einer einfacheren Planung hätte längst umgezogen werden können. Warum wurde nicht der stadtverträgliche, schnellere und billigere Weg begangen, die Regierungsbauten ebenso wie die Ministerien in bestehenden Altbauten unterzubringen? Provisorienangst?

Den Beschluß des Bundeskabinetts vom Juni 1994 zum Nutzungskonzept der Ministerien in Berlin kennzeichnete noch Pragmatismus und Sparsamkeit. Für das Innenministerium wird beispielsweise das einstige DDR-Ministerium des Innern grundsaniert, das Bundesministerium für Justiz erhält Räume in Gebäuden nahe des Gendarmenmarktes. Für das Finanzministerium mit 45.000 Quadratmetern HNF soll nach dem Beschluß das Treuhandgebäude an der Leipziger Straße hergerichtet werden. Entsprechendes gilt für die anderen Ministerien. Kosten in Höhe von 980 Millionen Mark werden dadurch gespart.

Was für Paris, London oder Lissabon selbstverständlich ist, nämlich die Regierungsbauten ins Stadtbild aufzunehmen, wird beim baulichen Implantat am Spreebogen schwer möglich. Die Spange bleibt ein künstlicher Riegel aus Kanzleramt, Forum und Büros, dem die Stadt mehr abhanden kommt, als sie dorthin findet: Hatte der Architekt Axel Schultes noch an öffentliche Wege und Plätze bei seiner Planung gedacht, sind es nun die Sicherheits- und Verkehrsexperten, aber auch die Planer, die die Örtlichkeit in eine „riesige introvertierte Parlamentsstadt“ mit internen Wegenetzen zu verwandeln drohen, sagt Ulla Luther, Senatsrätin bei der Bauverwaltung. Doch nicht nur der Spreebogen könnte zum „Klein- Brasilia“ werden. Auch auf der Spreeinsel verhindern die Ansprüche des Außenministers nach einer „Adresse“ am „Schloßplatz“ (also ohne Staatsrat) mit unzugänglichen Straßen und Brücken über alle öffentlichen Räume hinweg, daß Stadt und Staat, Bürger und Volksvertreter sich begegnen. Die Angst vor Berlin wäre damit betoniert. Rolf Lautenschläger