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Das Volk der Ana Blandiana

Nach der politischen Wende in Rumänien ging die einst verfolgte Schriftstellerin Ana Blandina in die Politik / Erfolg hatte sie dabei bisher nicht  ■ Von Keno Verseck

„Das Volk“, sagt die berühmte Schriftstellerin entschlossen, „das Volk muß sich ändern, nicht nur die Regierung.“ Sie erinnert sich an Episoden im Herbst 1992. Damals war Wahlkampf. Mit dem Präsidentenkandidaten fuhr sie in die Provinzstädte des Landes. Überall, wo sie hinkam, waren die Plätze voller jubelnder Menschen. Die andere Seite, die herrschende Macht, gewann trotzdem die Wahlen. „Es war so leicht zu glauben, das Volk habe sich geändert“, sagt die berühmte Schriftstellerin, „es war naiv.“

Ein Satz, der häufig von Ana Blandiana zu hören ist: Das Volk hat sich nicht geändert. Die rumänische Dichterin-Schriftstellerin- Politikerin steht mit ihrer Enttäuschung nicht allein. Klagen, verbitterte, abschätzige Bemerkungen über „das Volk“ sind in privaten Gesprächen von vielen ihrer Kollegen aus der demokratischen Opposition zu hören.

Ein sehr rumänisches Thema. Wohl in keinem anderen osteuropäischen Land hegen Intellektuelle eine derartige Geringschätzung für „das Volk“. Und wohl in keinem anderen osteuropäischen Land mischen sie sich mit derart messianischem Eifer in die Politik ein. Halb angeekelt, halb fasziniert von der Macht, predigen die meisten von ihnen gegen die Tradition von einem halben Jahrtausend byzantinischer Vetternwirtschaft und Korruptionssumpf an. Schriftsteller verkünden pathetisch Ideale und fühlen sich berufen, das Volk in eine bessere Welt zu führen.

Ana Blandiana sagt von sich, sie sei ein Symbol. Ein Symbol gegen das Rumänien des Diktators Ceaușescu. Obwohl sie häufig enttäuscht ist von der Politik und es eigentlich als „Tragödie“ empfindet, „nicht allein an ihrem Schreibtisch“ sein zu können, macht sie im postkommunistischen Rumänien seit fünf Jahren Politik. In ihr Privatleben will sie sich erst zurückziehen, wenn die Opposition an die Macht kommt.

Sie verficht die Idee einer zivilen Gesellschaft. Sie hegt zugleich Sympathien für die Monarchie. Und verfällt manchmal in befremdliche Nähe zu nationalistischen Positionen. Obwohl Gegenstand sexistischer Karikaturen und frauenfeindlicher Polemiken, reagiert sie auf Fragen nach der dürftigen Präsenz von Frauen in Politik und Kultur ihres Landes allergisch. Nichts von allem, was sie mache, findet sie, mache sie in ihrer Qualität als Frau.

Die 52jährige Ana Blandiana veröffentlichte ihr erstes Gedicht 1959. Ihren Vater, einen orthodoxen Priester, kerkern die Kommunisten im selben Jahr ein. Von der Tochter darf – Sippenhaft – vier Jahre lang nichts erscheinen. Bis der Leiter einer bekannten Wochenzeitung sich bei Parteioberen für sie verwendet. In dem Blatt schreibt sie später, Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, unter dem Titel „Anti-Tagebuch“ auch ihre Kolumnen, die sie bekannt machen. Mit dem zweiten Publikationsverbot belegen Ceaușescus Zensoren sie 1985, das dritte folgt im August 1988 und dauert bis zum Sturz des Diktators am 22. Dezember 1989. Vor allem ein Gedicht aus einem Kinderbuch paßt dem Diktator nicht. Das Gedicht „Der Star meiner Straße“, in dem ein böser, allmächtiger Kater auftritt und sich von einer Maus preisen läßt: „O, welch ein Privileg ist es / von ihm gefressen zu werden.“

An die Stelle des Diktators tritt aus der Versenkung ein gewisser Ion Iliescu. Jahre zuvor hatte Ceaușescu ihn als Gebietsparteisekretär gestürzt und auf den Posten eines Verlagsleiters abgeschoben. Um sich zu legitimieren, ruft der später als Staatspräsident gewählte Iliescu in seine „Front zur Nationalen Rettung“ bekannte oppositionelle Intellektuelle, darunter auch Ana Blandiana. „Ohne daß ich es recht begriff“, sagt sie, „nutzten Iliescu und die Kräfte aus seinem Umfeld das politische Symbol, zu dem ich geworden war, aus.“ Gut vier Wochen später verläßt sie die neokommunistische Organisation wieder – aus Protest gegen Iliescus Methoden, seine Herrschaft zu etablieren: Provokateure der Securitate hatten Ende Januar gegen ihn gerichtete Demonstrationen in Bukarest gewaltsam zerschlagen.

Ana Blandiana wird durch ihren Austritt aus der Front zu einem „noch akzentuierteren Symbol“, wie sie sagt. Und bleibt in der Politik – als Vorsitzende der im November 1990 gegründeten Bewegung „Bürgerallianz“. Die Basisorganisation, deren führende Mitglieder bekannte Intellektuelle sind, versteht sich als eine „Wächterin“ der Demokratie, ohne jedoch direkt in die Politik eingreifen zu wollen. Wie viele andere will auch Ana Blandiana „niemals“ einen Posten annehmen oder für ein Amt kandidieren. In den pausenlosen Wirren und Intrigen der rumänischen Oppositionspolitik mischt die einflußreiche Bürgerallianz bald mit. Auch die Schriftstellerin-Politikerin ist beteiligt. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Herbst 1992 wird der angesehene Literaturkritiker Nicolae Manolescu als Kandidat ausgebootet. Das, obwohl er sich als fähiger Politiker profiliert hat und Umfragen ihn als den geeignetsten Kandidaten der demokratischen Opposition ausweisen. Die Bürgerallianz verzeiht ihm offenbar den Bruch mit der Organisation nicht: Im Jahr zuvor hatte er mit ihrer Unterstützung und als ihren politischen Arm die „Partei der Bürgerallianz“ (PAC) gegründet, war nach zahlreichen Streitigkeiten aber auf Distanz zur Mutterorganisation gegangen, die später in totaler Konfrontation endete.

Manchen Parteien des oppositionellen Dachverbandes „Demokratischer Konvent“, ist Manolescu bereits zu populär geworden. Konnte er als PAC-Chef doch von ihrer Zerstrittenheit profitieren. Gegen ihn präsentiert die Bürgerallianz, ihr voran Ana Blandiana, einen völlig unbekannten Kandidaten, der beim Konvent im letzten Moment durchkommt: den Rektor der Bukarester Universität Emil Constantinescu. Ein Mann mit ehrenwerten Ansichten, geringen politischen Fähigkeiten und dem Charisma eines in seine Forschungen vertieften Professors – schwach genug, um die Konvent- Politiker nicht an ihren Ambitionen zu hindern.

Der Schock ist groß, als die Opposition die Wahlen verliert. Presse und Politiker schieben die Hauptschuld auf Ana Blandiana. In einer der wenigen von Selbstgerechtigkeit freien Analysen kommentiert der Kritiker und Kulturtheoretiker Andrei Pleșu – bekannt nicht nur für seine regierungskritische, sondern auch von der Opposition unabhängigen Haltung – die Niederlage: die Opposition habe die Wahlen mehr verloren, als das Iliescus Neokommunisten sie gewonnen hätten. Ana Blandiana beschuldigt ihn, er halte es mit der Macht.

Auf haarsträubend populistische Weise – zumindest für eine intellektuelle Symbolfigur, wie sie sie zu sein in Anspruch nimmt – verteidigt sie ihre Entscheidung noch immer: Constantinescu sei ein Mann des Volkes. Der Umstand, daß er wie viele andere vor 1989 in die Kommunistischen Partei habe eintreten müssen, um auf seinem Posten zu bleiben, genau dieser Umstand, hätte für vier Millionen ehemalige Parteimitglieder eine Identifizierungsmöglichkeit mit dem „Demokratischen Konvent“ geboten.

Politischen Irrtümern, Affären folgen in Rumänien keine Rücktritte. Auch nicht bei rumänischen Oppositionsparteien oder bei Ana Blandiana. Sie blieb Chefin der Bürgerallianz und gab den Posten letztes Jahr zugunsten des Vizevorsitzes ab. Befragt nach Fehlern, antwortet sie Ungefähres: Die demokratische Opposition sei zu lange unentschlossen gewesen. Oder eben mit jener Feststellung, das Volk habe sich nicht geändert.

Aber vielleicht ist es in ihren Augen ja dabei sich zu ändern. Die Meinungsumfragen der letzten Monate bescheinigen der demokratischen Opposition steigende Popularität. Zu sehr haben die korrupten Machthaber die Wirtschaft des Landes verkommen lassen. Ana Blandiana glaubt dieses Mal fest an den Sieg der Opposition bei eventuellen vorgezogenen Neuwahlen, spätestens bei den regulären Wahlen 1996.

Keine erfreuliche Perspektive. Nicht nur vergiften noch immer Eitelkeit, Mißgunst und Intrigen die Atmosphäre in den demokratischen Oppositionsparteien. Ihre Führer verfallen auch mehr und mehr in Populismus und Demagogie. Mal spricht sich der Chef einer liberalen Partei für die Todesstrafe aus, weil eine große Tageszeitung eine Kampagne zu deren Wiedereinführung gestartet hat. Und mal verspricht ein „Anti-Krisen-Programm“, erarbeitet von „Ökonomen“ im „Demokratischen Konvent“, das Unmögliche: zugleich weniger Inflation und mehr Beschäftigung, schnelle Privatisierung und staatliche Investitionsprogramme.

Nationalismus, Antisemitismus, Antiziganismus sind in der Opposition ebenso an der Tagesordnung wie bei den Regierungsparteien. Zunehmend polemisiert sie gegen die ungarische Minderheit und deren Verband, der immerhin acht Prozent der Wählerstimmen in den „Demokratischen Konvent“ einbringt. Auf diese Weise sollen Stimmen nationalistischer Parteien gewonnen werden.

Ein Gutteil der achtzehn Parteien und Organisationen im „Demokratischen Konvent“, von denen acht im Parlament vertreten sind, setzt – wie vor Jahren schon einmal – wieder auf die Monarchie. Corneliu Coposu, der Führer der „Christlich-Demokratischen Nationalen Bauernpartei“, die stärkste Oppositionspartei, gab im Sommer bekannt, daß seine Partei König Michael, der im Schweizer Exil lebt, wieder inthronieren werde, falls sie die Wahlen gewinne. Nur so könne Rumänien gerettet werden. Coposu, eigentlich einer der wenigen integeren Politiker Rumäniens, glaubt, so Stimmen fangen zu können: Laut Umfragen liebäugeln angeblich ein Drittel der rumänischen Wähler mit der Monarchie.

Ana Blandiana macht all das nicht pessimistisch. Kein Wunder, unterliegt sie doch selbst solchen Stimmungen. Etwa bei der immer wieder heftig geführten Debatte um die Bewertung des Diktators Antonescu, der von den Kommunisten als Kriegsverbrecher 1946 hingerichtet wurde. Er sei nicht einfach ein Faschist, sondern eine komplexe Persönlichkeit gewesen; er habe, um Rumänien zu retten, sich gegen seine Sympathien entschieden, auf der Seite Hitlers zu kämpfen. Die Zahlen über der ermordeten Juden und Roma, die auf seinen Befehl hin deportiert wurden, hält Ana Blandiana für übertrieben und von den Kommunisten gefälscht. Allerdings findet sie es verfrüht, Denkmäler für Antonescu aufzustellen – wie im postkommunistischen Rumänien mehrfach geschehen: Erst eine seriöse historische Analyse könne entscheiden, ob der Diktator eine Statue verdiene oder nicht.

Wohin führen solche Relativierungen? Wohin führt es, wenn das, was für die Kommunisten schwarz war, heute nur weiß sein kann, selbst wenn da häßliche Flecken sind? Ein bekannter, trotziger Ausspruch von Ana Blandiana auf solche Fragen lautet: „Die unehrenhaftesten unserer Leute sind immer noch weniger unehrenhaft als die von der anderen Seite. Und die schlechtesten von uns sind in jedem Fall besser als die besten der anderen Seite.“

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